I. Allgemeine Darstellung
Der Gesetzgeber hat im Jahr 2011 begonnen,
das Vormundschaftsrecht stufenweise zu reformieren. Diese Reform hat direkte
Auswirkungen auf den Aufgabenbereich Amtsvormundschaften / Amtspflegschaften im
FB 2.
Die wichtigsten Inhalte der Reform, die
unmittelbar nach der Verkündung im Juli 2011 wirksam wurden, betreffen
- § 1793 Abs.
1a BGB / § 55 Abs. 3 SGB VIII: Der Vormund/Pfleger hat die Pflicht, zum
Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Er soll ihn in der Regel einmal im
Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall
sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten.
- § 1800 Satz 2
BGB / § 55 Abs. 3 SGB VIII: Der Vormund/Pfleger hat die Pflege und
Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten.
- § 1840 Abs. 1
Satz 2 BGB: Der mindestens jährlich dem Familiengericht vorzulegende
Bericht muss zukünftig auch Angaben zu Kontakthäufigkeit, Art und Weise
der Kontakte, Ort und Zeitpunkt etc. enthalten.
Die Neuregelungen, die zum Juli 2012 in Kraft
treten, betreffen
- § 55 Abs. 2
Satz 2 und 3 SGB VIII: Vor der Bestellung des Vormunds/Pflegers soll der
Minderjährige mündlich angehört werden, soweit Alter und Entwicklungsstand
dies ermöglichen. Eine ausnahmsweise vor der Aufgabenübertragung unterlassene
Anhörung ist unverzüglich nachzuholen.
- § 55 Abs. 2
Satz 4 SGB VIII: Je Vollzeitstelle ist die Fallzahl auf höchstens 50
Vormundschaften/Pflegschaften begrenzt; bei Wahrnehmung anderer Aufgaben
entsprechend geringere Fallzahl.
- § 1837 Abs. 2
Satz 2 BGB: Erweiterung der Aufsicht durch das Familiengericht,
insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der Kontaktpflichten.
Die neuen gesetzlichen Regelungen haben
Auswirkungen auf
- die
personelle Ausstattung,
- die
inhaltliche Ausrichtung der Arbeit,
- die
Schnittstelle zum Sozialen Dienst und
- die Aufsicht
des Familiengerichts.
II. Wer bekommt einen Vormund / Pfleger?
Wenn Eltern ihrer Pflicht zur Pflege und
Erziehung ihrer Kinder nicht nachkommen (können), muss der Staat den Schutz der
Kinder gewährleisten. Dieses staatliche Wächteramt wird in der Regel vom
Jugendamt und dem Familiengericht wahrgenommen. Sobald dem Jugendamt
gravierende Missstände im Hinblick auf die Lebenssituation eines Kindes oder Jugendlichen
bekannt werden, wendet es sich an das zuständige Familiengericht. Der Richter
entscheidet dann darüber, ob und ggf. in welchem Umfang den leiblichen Eltern
das Sorgerecht entzogen und auf das Jugendamt übertragen wird.
Eine bestellte Vormundschaft/Pflegschaft
über ein Kind oder einen Jugendlichen tritt somit durch einen gerichtlichen
Beschluss ein und kann, solange das Mündel noch minderjährig ist, auch nur
durch einen solchen beendet werden. Eine Vormundschaft kraft Gesetzes kommt nur
dann zum Tragen, wenn die Mutter selber minderjährig bzw. nur beschränkt
geschäftsfähig ist, für ihr Kind somit keine Rechtsgeschäfte tätigen kann.
Vormünder/Pfleger haben im Rahmen ihres
Wirkungskreises die gesetzliche Vertretung für ihr Mündel. Sie sind allein den
Interessen des Kindes oder des Jugendlichen verpflichtet. Die persönliche
Verantwortung liegt gerade darin, das Wohl des Kindes/Jugendlichen im
persönlichen Kontakt im Auge zu behalten, um für eine angemessene Erziehung,
Hilfe und Förderung eintreten zu können.
Fallbeispiele
zur Beschreibung der Arbeit als Vormund:
1. Die Jugendliche, 16 Jahre, lebte
nach Scheidung der Eltern bei der Mutter. Der Vater verstarb im Januar, die Mutter im Februar
desselben Jahres
Zu regeln war:
-
Klärung der Erbschaftsausschlagung für Mutter und
Vater
-
Antrag auf Erziehungshilfe zwecks Unterbringung in
einer Pflegestelle
-
Antragstellung Waisenrente, BAföG
-
Kindergeld
-
Konto- u. Sparbucheröffnung
2. Die Jugendliche, 15 Jahre, lebt
seit 2004 im Rahmen von Hilfe zur Erziehung in einer Erziehungsstelle. In 2012
wurde sexueller Missbrauch bekannt.
Zu regeln war:
-
Entscheidung über die Erteilung einer
Aussagegenehmigung und Zustimmung für eine
psychologische Begutachtung zwecks Erstellung eines
Glaubwürdigkeitsgutachtens im Strafverfahren
-
Begleitung zur polizeilichen Anhörung
-
Vorbereitung und Begleitung des Prozesses
-
Nebenklagevertretung durch Rechtsanwältin
organisieren
-
Antrag auf Opferentschädigung stellen
-
passende unterstützende Maßnahme eruieren und einleiten
– hier „WenDo“ Kurs
Fallbeispiele
zur Beschreibung der Arbeit als Ergänzungspfleger:
1. 2 Geschwisterkinder,
2 ½ Jahre und 9 Monate, wurden vom ASD in Obhut genommen, da die Mutter nicht
erreichbar und über Tage nicht auffindbar war; die Prüfung familiärer
Alternativen verlief zunächst negativ.
Das Familiengericht bestellte
das Jugendamt zum Pfleger mit den Wirkungskreisen Aufenthaltsbestimmung,
Gesundheitsfürsorge und Antragsrecht auf Hilfen zur Erziehung.
Zu regeln war:
-
Mitwirkung hinsichtlich der Klärung des zukünftigen
Lebensmittelpunktes der Kinder
-
Klärung des Bedarfs auf Erziehungshilfe und
Antragstellung
-
Klärung der medizinischen Versorgung
2. Ein 2-jähriges Kind wurde vom ASD
2007 in Obhut genommen, da die stark suchtkranke Mutter die Versorgung des
Kindes nicht mehr sicherstellte.
Das
Familiengericht bestellte das Jugendamt zum Pfleger mit den Wirkungskreisen
Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Antragsrecht auf Hilfen zur
Erziehung.
Zu regeln war und
ist:
- Mitwirkung, letztendlich
Bestimmung, hinsichtlich des neuen Lebensmittelpunktes des Kindes
- Klärung des Bedarfs auf
Erziehungshilfe und Antragstellung
- Klärung der medizinischen
Versorgung
- Zustimmung zu Impfungen
- Besprechung mit Ärzten und
Zustimmung bei notwendigen medizinischen Eingriffen
- Begleitung der Rückführung zur
Mutter in 2012, Zustimmung zur Rückkehr aufgrund positiver Entwicklung der
Mutter und entsprechender Erfolgsaussicht
- nach Rückführung des Kindes
Rückfall der Mutter Ende 2012 (bis jetzt einmalig), Klärung und Mitarbeit an
der Sicherstellung des Lebensumfeldes und Bestimmung des Aufenthaltes; der
Aufenthalt bei der Mutter soll möglichst erhalten bleiben, da bei nochmaligem
Wechsel schwere Schäden des Kindes zu erwarten sind
III. Darstellung der Auswirkungen in den einzelnen
Bereichen
1.
Personelle Ausstattung
Aktuell werden 18 Vormundschaften und
Pflegschaften von drei Sachbearbeiterinnen betreut, davon zwei
Verwaltungsfachkräfte und eine Sozialarbeiterin mit jeweils weiteren Aufgaben.
Aufgrund der „Arbeitsteilung“ kann so den vielfältigen Anforderungen im engen
kollegialen Austausch umfassend entsprochen werden. Zur Erfüllung aller dem
Sachgebiet zugeordneten Aufgaben stehen insgesamt 80 Wochenstunden zur
Verfügung (2 Vollzeitstellen).
Wie in vielen Jugendämtern obliegen den
Vormündern/Pflegern beim Jugendamt Meerbusch im Wesentlichen noch folgende
Aufgaben:
·
Beratung und Unterstützung der Mutter bei
Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen (§ 52 a SGB
VIII)
·
Führung von Beistandschaften zur Realisierung von
Kindesunterhalt einschließlich Prozessvertretung bis zum Oberlandesgericht (§
56 SGB VIII)
·
Vornahme von Beurkundungen (§ 59 SGB VIII)
insbesondere
ü bei Anerkennung
oder Widerruf einer Vaterschaft
ü zur Titulierung
von Unterhaltsansprüchen eines Kindes sowie von Volljährigen bis zur Vollendung
des 21. Lebensjahres
ü bei
Bereiterklärung von Adoptionsbewerbern zur Annahme eines Kindes
ü bei Abgabe von
Sorgeerklärungen
·
Führung des Sorgeregisters (§ 58 a SGB VIII)
Die gesetzliche Festlegung der
Fallzahlengrenze hat derzeit keine personellen Auswirkungen, steht jedoch in
direktem Zusammenhang mit der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit.
Entwicklung der Fallzahlen ab 2008 |
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Stichtag 31.12. |
2008 |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
Amtsvormundschaften |
6 |
8 |
12 |
10 |
9 |
Amtspflegschaften |
11 |
6 |
7 |
7 |
9 |
Beistandschaften |
317 |
302 |
309 |
265 |
289 |
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gesamt |
334 |
316 |
328 |
282 |
307 |
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Jahreszahlen |
2008 |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
Beratungen nach § 52a SGB VIII |
60 |
52 |
48 |
38 |
50 |
davon
Volljährigenunterhalt |
11 |
20 |
18 |
9 |
10 |
Die geringere Zahl an Beratungen in 2011 ist
Folge eines erheblichen Personalausfalls ab 04/2011.
2.
Inhaltliche Ausrichtung der Arbeit
Bereits seit vielen Jahren erfolgen die
persönliche Förderung und die Gewährleistung der Pflege und Erziehung des
Mündels durch den jeweils zuständigen Vormund/Pfleger. Neben der Teilnahme an
Hilfeplangesprächen, dem Austausch mit dem Sozialen Dienst sowie Gesprächen mit
Einrichtungen, Pflegeeltern, Schulen, Kindertageseinrichtungen und je nach
Einzelfall weiteren Beteiligten sind auch regelmäßige Kontakte zum Mündel
bereits Standard. Die neue gesetzliche Vorgabe, dass „der Vormund mit dem
Mündel persönlichen Kontakt zu halten hat“, ist in Meerbusch bereits erfüllt.
Weiter heißt es im Gesetz allerdings, „er
soll das Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung
aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände
oder ein anderer Ort geboten“.
Die monatliche Kontaktpflicht stand und
steht bei den Fachleuten der Jugendhilfe, aber auch bei den Sachverständigen in
der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages, stark in der Kritik. Zum einen
lässt sich ein regelhafter monatlicher Kontakt bereits aus zeitlichen Gründen
selbst bei Begrenzung auf 50 Fälle unmöglich realisieren, wenn daneben noch
ausreichend Zeit für Maßnahmen zur persönlichen Förderung und Gewährleistung
von Pflege und Erziehung des Mündels (Teilnahme am Hilfeplanverfahren,
Verfolgen des Verlaufs und der Wirksamkeit von Hilfen, Regelung von
Umgangskontakten, von finanziellen Angelegenheiten, Fertigung von Berichten
etc.) bleiben muss. Zudem wird bemängelt, dass diese Regelung nicht auf die
individuellen Bedürfnisse der Mündel eingeht. In vielen Fällen ist ein
häufigerer Kontakt notwendig, in ruhigen Zeiten würden aber auch Telefonate und
eine wesentlich geringere Kontakthäufigkeit ausreichen. Die Installierung eines
monatlichen Kontakts könnte sich bei langjährigen Pflegeverhältnissen sogar als
kontraproduktiv erweisen. Zwar lässt die Formulierung im Gesetz Raum für
Abweichungen von einem regelhaften monatlichen Kontakt, jedoch sind diese
jeweils zu begründen und zu dokumentieren. In der Fachdiskussion wird daher
eine Begrenzung auf 30 Mündel je Vollzeitstelle angestrebt.
Aus § 79 SGB VIII ergibt sich die
Gewährleistungsverpflichtung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, zur
Erfüllung der Aufgaben ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen. Ein
nachweisliches Organisationsverschulden kann im Einzelfall sogar eine
strafrechtliche Verantwortung der Jugendamtsleitung zur Folge haben.
Die aktuellen Fallzahlen auf den hier
vorhandenen Mischarbeitsplätzen Beistandschaft / Amtspflegschaft / Amtsvormundschaft
erfordern derzeit keine Personalausweitung.
Die weitere Entwicklung und die Evaluation
der neuen gesetzlichen Vorgaben bleiben abzuwarten.
3. Schnittstelle
zum Sozialen Dienst
Die Vormünder/Pfleger arbeiten mit dem
Sozialen Dienst im Einzelfall eng zusammen. Während der Vormund/Pfleger
Aufgaben der Personensorge in persönlicher Verantwortung wahrnimmt, bleiben die
Aufgaben des Jugendamtes als Leistungsbehörde und Aufgaben des Kinderschutzes
bei den Sozialen Diensten. Grundsatzfragen werden in einem regelmäßigen
Austausch zur Qualitätsentwicklung erörtert. Die gesetzlichen Änderungen machen
jedoch zusätzliche Absprachen erforderlich.
Zum einen sind die Pflegefamilien und
stätionären Einrichtungen betroffen, weil die Mündel häufiger Besuch von ihren
Vormündern/Pflegern erhalten. Zum anderen verändert sich aber auch die
Schnittstelle zu den Sozialen Diensten, da das Jugendamt das Kind oder den
Jugendlichen vor der Übertragung der Aufgaben des Amtsvormundes/-pflegers zur
Auswahl mündlich anhören soll, soweit dies nach Alter und Entwicklungsstand
möglich ist. Eine ausnahmsweise vor der Übertragung unterbliebene Anhörung ist
unverzüglich nachzuholen. In der Interpretation der Regelung bedeutet dies,
dass der Fall führende Sozialarbeiter dem Kind/Jugendlichen mitzuteilen hat,
dass eine Vormundschaft/Pflegschaft eingerichtet wird, wer zum Vormund/Pfleger
bestellt wird und schließlich dem neuen Mündel den Vormund/Pfleger vorstellt.
Der Vormund/Pfleger muss dann in einem Feld,
auf dem eine Vielzahl von Personen und Institutionen agieren, diejenigen
Regelungen anstreben, die den Interessen seines Mündels entsprechen. Hier ist
eine bewusste Trennung der Aufgaben des Jugendamtes als Sozialleistungsträger
und als rechtlicher Vormund/Pfleger erforderlich.
4.
Aufsicht des Familiengerichts
Durch die Gesetzesänderung verändert sich
die Aufsicht des Familiengerichtes. Die monatliche Kontaktpflicht besteht
bereits seit Juli 2011; Verstöße blieben jedoch für die Dauer eines Jahres
sanktionslos. Entsprechend erfolgt die Aufsicht des Familiengerichtes u.a. über
die Einhaltung der Kontaktpflichten seit Juli 2012.
Nach dem bisherigen Stand wurde einmal
jährlich über die persönliche Situation und das Vermögen des Mündels berichtet.
Nun müssen die Berichte darüber hinaus Angaben zu den persönlichen Kontakten
des Vormundes zu seinem Mündel enthalten und unterliegen der Aufsicht des
Familiengerichts. Um den Forderungen des Gesetzgebers nachzukommen, wurden die
persönlichen Kontakte mit den Mündeln durch die Vormünder dokumentiert und dem
Familiengericht nachgewiesen.
In Vertretung
Angelika Mielke-Westerlage
Erste Beigeordnete