Betreff
Umsetzung des Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts
Vorlage
FB2/157/2013
Art
Informationsvorlage

 

I.  Allgemeine Darstellung

 

Der Gesetzgeber hat im Jahr 2011 begonnen, das Vormundschaftsrecht stufenweise zu reformieren. Diese Reform hat direkte Auswirkungen auf den Aufgabenbereich Amtsvormundschaften / Amtspflegschaften im FB 2.

 

Die wichtigsten Inhalte der Reform, die unmittelbar nach der Verkündung im Juli 2011 wirksam wurden, betreffen

 

  • § 1793 Abs. 1a BGB / § 55 Abs. 3 SGB VIII: Der Vormund/Pfleger hat die Pflicht, zum Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Er soll ihn in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten.
  • § 1800 Satz 2 BGB / § 55 Abs. 3 SGB VIII: Der Vormund/Pfleger hat die Pflege und Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten.
  • § 1840 Abs. 1 Satz 2 BGB: Der mindestens jährlich dem Familiengericht vorzulegende Bericht muss zukünftig auch Angaben zu Kontakthäufigkeit, Art und Weise der Kontakte, Ort und Zeitpunkt etc. enthalten.

 

 

Die Neuregelungen, die zum Juli 2012 in Kraft treten, betreffen

 

  • § 55 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VIII: Vor der Bestellung des Vormunds/Pflegers soll der Minderjährige mündlich angehört werden, soweit Alter und Entwicklungsstand dies ermöglichen. Eine ausnahmsweise vor der Aufgabenübertragung unterlassene Anhörung ist unverzüglich nachzuholen.
  • § 55 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII: Je Vollzeitstelle ist die Fallzahl auf höchstens 50 Vormundschaften/Pflegschaften begrenzt; bei Wahrnehmung anderer Aufgaben entsprechend geringere Fallzahl.
  • § 1837 Abs. 2 Satz 2 BGB: Erweiterung der Aufsicht durch das Familiengericht, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der Kontaktpflichten.

 

 

Die neuen gesetzlichen Regelungen haben Auswirkungen auf

 

  • die personelle Ausstattung,
  • die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit,
  • die Schnittstelle zum Sozialen Dienst und
  • die Aufsicht des Familiengerichts.

 

II.  Wer bekommt einen Vormund / Pfleger?

 

Wenn Eltern ihrer Pflicht zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht nachkommen (können), muss der Staat den Schutz der Kinder gewährleisten. Dieses staatliche Wächteramt wird in der Regel vom Jugendamt und dem Familiengericht wahrgenommen. Sobald dem Jugendamt gravierende Missstände im Hinblick auf die Lebenssituation eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden, wendet es sich an das zuständige Familiengericht. Der Richter entscheidet dann darüber, ob und ggf. in welchem Umfang den leiblichen Eltern das Sorgerecht entzogen und auf das Jugendamt übertragen wird.

Eine bestellte Vormundschaft/Pflegschaft über ein Kind oder einen Jugendlichen tritt somit durch einen gerichtlichen Beschluss ein und kann, solange das Mündel noch minderjährig ist, auch nur durch einen solchen beendet werden. Eine Vormundschaft kraft Gesetzes kommt nur dann zum Tragen, wenn die Mutter selber minderjährig bzw. nur beschränkt geschäftsfähig ist, für ihr Kind somit keine Rechtsgeschäfte tätigen kann.

 

Vormünder/Pfleger haben im Rahmen ihres Wirkungskreises die gesetzliche Vertretung für ihr Mündel. Sie sind allein den Interessen des Kindes oder des Jugendlichen verpflichtet. Die persönliche Verantwortung liegt gerade darin, das Wohl des Kindes/Jugendlichen im persönlichen Kontakt im Auge zu behalten, um für eine angemessene Erziehung, Hilfe und Förderung eintreten zu können.

 

Fallbeispiele zur Beschreibung der Arbeit als Vormund:

 

1.             Die Jugendliche, 16 Jahre, lebte nach Scheidung der Eltern bei der Mutter. Der Vater  verstarb im Januar, die Mutter im Februar desselben Jahres

Zu regeln war:

-         Klärung der Erbschaftsausschlagung für Mutter und Vater

-         Antrag auf Erziehungshilfe zwecks Unterbringung in einer Pflegestelle

-         Antragstellung Waisenrente, BAföG

-         Kindergeld

-         Konto- u. Sparbucheröffnung

 

2.             Die Jugendliche, 15 Jahre, lebt seit 2004 im Rahmen von Hilfe zur Erziehung in einer Erziehungsstelle. In 2012 wurde sexueller Missbrauch bekannt.

Zu regeln war:

-         Entscheidung über die Erteilung einer Aussagegenehmigung und Zustimmung für eine  psychologische Begutachtung zwecks Erstellung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens im Strafverfahren

-         Begleitung zur polizeilichen Anhörung

-         Vorbereitung und Begleitung des Prozesses

-         Nebenklagevertretung durch Rechtsanwältin organisieren

-         Antrag auf Opferentschädigung stellen

-         passende unterstützende Maßnahme eruieren und einleiten – hier „WenDo“ Kurs

 

 

 

Fallbeispiele zur Beschreibung der Arbeit als Ergänzungspfleger:

 

1.                            2 Geschwisterkinder, 2 ½ Jahre und 9 Monate, wurden vom ASD in Obhut genommen, da die Mutter nicht erreichbar und über Tage nicht auffindbar war; die Prüfung familiärer Alternativen verlief zunächst negativ.

                Das Familiengericht bestellte das Jugendamt zum Pfleger mit den Wirkungskreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Antragsrecht auf Hilfen zur Erziehung.

Zu regeln war:

-         Mitwirkung hinsichtlich der Klärung des zukünftigen Lebensmittelpunktes der Kinder

-         Klärung des Bedarfs auf Erziehungshilfe und Antragstellung

-         Klärung der medizinischen Versorgung

 

2.             Ein 2-jähriges Kind wurde vom ASD 2007 in Obhut genommen, da die stark suchtkranke Mutter die Versorgung des Kindes nicht mehr sicherstellte.

Das Familiengericht bestellte das Jugendamt zum Pfleger mit den Wirkungskreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Antragsrecht auf Hilfen zur Erziehung.

Zu regeln war und ist:

-              Mitwirkung, letztendlich Bestimmung, hinsichtlich des neuen Lebensmittelpunktes des Kindes

-              Klärung des Bedarfs auf Erziehungshilfe und Antragstellung

-              Klärung der medizinischen Versorgung

-              Zustimmung zu Impfungen

-              Besprechung mit Ärzten und Zustimmung bei notwendigen medizinischen Eingriffen

-              Begleitung der Rückführung zur Mutter in 2012, Zustimmung zur Rückkehr aufgrund positiver Entwicklung der Mutter und entsprechender Erfolgsaussicht

-              nach Rückführung des Kindes Rückfall der Mutter Ende 2012 (bis jetzt einmalig), Klärung und Mitarbeit an der Sicherstellung des Lebensumfeldes und Bestimmung des Aufenthaltes; der Aufenthalt bei der Mutter soll möglichst erhalten bleiben, da bei nochmaligem Wechsel schwere Schäden des Kindes zu erwarten sind

 

III.  Darstellung der Auswirkungen in den einzelnen Bereichen

 

1. Personelle Ausstattung

 

Aktuell werden 18 Vormundschaften und Pflegschaften von drei Sachbearbeiterinnen betreut, davon zwei Verwaltungsfachkräfte und eine Sozialarbeiterin mit jeweils weiteren Aufgaben. Aufgrund der „Arbeitsteilung“ kann so den vielfältigen Anforderungen im engen kollegialen Austausch umfassend entsprochen werden. Zur Erfüllung aller dem Sachgebiet zugeordneten Aufgaben stehen insgesamt 80 Wochenstunden zur Verfügung (2 Vollzeitstellen).

 

Wie in vielen Jugendämtern obliegen den Vormündern/Pflegern beim Jugendamt Meerbusch im Wesentlichen noch folgende Aufgaben:

·         Beratung und Unterstützung der Mutter bei Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen (§ 52 a SGB VIII)

·         Führung von Beistandschaften zur Realisierung von Kindesunterhalt einschließlich Prozessvertretung bis zum Oberlandesgericht (§ 56 SGB VIII)

·         Vornahme von Beurkundungen (§ 59 SGB VIII) insbesondere

ü       bei Anerkennung oder Widerruf einer Vaterschaft

ü       zur Titulierung von Unterhaltsansprüchen eines Kindes sowie von Volljährigen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres

ü       bei Bereiterklärung von Adoptionsbewerbern zur Annahme eines Kindes

ü       bei Abgabe von Sorgeerklärungen

·         Führung des Sorgeregisters (§ 58 a SGB VIII)

 

Die gesetzliche Festlegung der Fallzahlengrenze hat derzeit keine personellen Auswirkungen, steht jedoch in direktem Zusammenhang mit der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit.

 

Entwicklung der Fallzahlen ab 2008

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stichtag 31.12.

2008

2009

2010

2011

2012

Amtsvormundschaften

6

8

12

10

9

Amtspflegschaften

11

6

7

7

9

Beistandschaften

317

302

309

265

 289

 

 

 

 

 

 

gesamt

334

316

328

282

307

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jahreszahlen

2008

2009

2010

2011

2012

Beratungen nach § 52a SGB VIII

60

52

48

38

50

       davon Volljährigenunterhalt

11

20

18

9

10

 

Die geringere Zahl an Beratungen in 2011 ist Folge eines erheblichen Personalausfalls ab 04/2011.

 

2. Inhaltliche Ausrichtung der Arbeit

 

Bereits seit vielen Jahren erfolgen die persönliche Förderung und die Gewährleistung der Pflege und Erziehung des Mündels durch den jeweils zuständigen Vormund/Pfleger. Neben der Teilnahme an Hilfeplangesprächen, dem Austausch mit dem Sozialen Dienst sowie Gesprächen mit Einrichtungen, Pflegeeltern, Schulen, Kindertageseinrichtungen und je nach Einzelfall weiteren Beteiligten sind auch regelmäßige Kontakte zum Mündel bereits Standard. Die neue gesetzliche Vorgabe, dass „der Vormund mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten hat“, ist in Meerbusch bereits erfüllt.

 

Weiter heißt es im Gesetz allerdings, „er soll das Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten“.

 

Die monatliche Kontaktpflicht stand und steht bei den Fachleuten der Jugendhilfe, aber auch bei den Sachverständigen in der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages, stark in der Kritik. Zum einen lässt sich ein regelhafter monatlicher Kontakt bereits aus zeitlichen Gründen selbst bei Begrenzung auf 50 Fälle unmöglich realisieren, wenn daneben noch ausreichend Zeit für Maßnahmen zur persönlichen Förderung und Gewährleistung von Pflege und Erziehung des Mündels (Teilnahme am Hilfeplanverfahren, Verfolgen des Verlaufs und der Wirksamkeit von Hilfen, Regelung von Umgangskontakten, von finanziellen Angelegenheiten, Fertigung von Berichten etc.) bleiben muss. Zudem wird bemängelt, dass diese Regelung nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Mündel eingeht. In vielen Fällen ist ein häufigerer Kontakt notwendig, in ruhigen Zeiten würden aber auch Telefonate und eine wesentlich geringere Kontakthäufigkeit ausreichen. Die Installierung eines monatlichen Kontakts könnte sich bei langjährigen Pflegeverhältnissen sogar als kontraproduktiv erweisen. Zwar lässt die Formulierung im Gesetz Raum für Abweichungen von einem regelhaften monatlichen Kontakt, jedoch sind diese jeweils zu begründen und zu dokumentieren. In der Fachdiskussion wird daher eine Begrenzung auf 30 Mündel je Vollzeitstelle angestrebt.

 

Aus § 79 SGB VIII ergibt sich die Gewährleistungsverpflichtung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, zur Erfüllung der Aufgaben ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen. Ein nachweisliches Organisationsverschulden kann im Einzelfall sogar eine strafrechtliche Verantwortung der Jugendamtsleitung zur Folge haben.

 

Die aktuellen Fallzahlen auf den hier vorhandenen Mischarbeitsplätzen Beistandschaft / Amtspflegschaft / Amtsvormundschaft erfordern derzeit keine Personalausweitung.

 

Die weitere Entwicklung und die Evaluation der neuen gesetzlichen Vorgaben bleiben abzuwarten.

 

3. Schnittstelle zum Sozialen Dienst

 

Die Vormünder/Pfleger arbeiten mit dem Sozialen Dienst im Einzelfall eng zusammen. Während der Vormund/Pfleger Aufgaben der Personensorge in persönlicher Verantwortung wahrnimmt, bleiben die Aufgaben des Jugendamtes als Leistungsbehörde und Aufgaben des Kinderschutzes bei den Sozialen Diensten. Grundsatzfragen werden in einem regelmäßigen Austausch zur Qualitätsentwicklung erörtert. Die gesetzlichen Änderungen machen jedoch zusätzliche Absprachen erforderlich.

 

Zum einen sind die Pflegefamilien und stätionären Einrichtungen betroffen, weil die Mündel häufiger Besuch von ihren Vormündern/Pflegern erhalten. Zum anderen verändert sich aber auch die Schnittstelle zu den Sozialen Diensten, da das Jugendamt das Kind oder den Jugendlichen vor der Übertragung der Aufgaben des Amtsvormundes/-pflegers zur Auswahl mündlich anhören soll, soweit dies nach Alter und Entwicklungsstand möglich ist. Eine ausnahmsweise vor der Übertragung unterbliebene Anhörung ist unverzüglich nachzuholen. In der Interpretation der Regelung bedeutet dies, dass der Fall führende Sozialarbeiter dem Kind/Jugendlichen mitzuteilen hat, dass eine Vormundschaft/Pflegschaft eingerichtet wird, wer zum Vormund/Pfleger bestellt wird und schließlich dem neuen Mündel den Vormund/Pfleger vorstellt.

 

Der Vormund/Pfleger muss dann in einem Feld, auf dem eine Vielzahl von Personen und Institutionen agieren, diejenigen Regelungen anstreben, die den Interessen seines Mündels entsprechen. Hier ist eine bewusste Trennung der Aufgaben des Jugendamtes als Sozialleistungsträger und als rechtlicher Vormund/Pfleger erforderlich.

 

4. Aufsicht des Familiengerichts

 

Durch die Gesetzesänderung verändert sich die Aufsicht des Familiengerichtes. Die monatliche Kontaktpflicht besteht bereits seit Juli 2011; Verstöße blieben jedoch für die Dauer eines Jahres sanktionslos. Entsprechend erfolgt die Aufsicht des Familiengerichtes u.a. über die Einhaltung der Kontaktpflichten seit Juli 2012.

 

Nach dem bisherigen Stand wurde einmal jährlich über die persönliche Situation und das Vermögen des Mündels berichtet. Nun müssen die Berichte darüber hinaus Angaben zu den persönlichen Kontakten des Vormundes zu seinem Mündel enthalten und unterliegen der Aufsicht des Familiengerichts. Um den Forderungen des Gesetzgebers nachzukommen, wurden die persönlichen Kontakte mit den Mündeln durch die Vormünder dokumentiert und dem Familiengericht nachgewiesen.

 


In Vertretung

 

 

 

Angelika Mielke-Westerlage

Erste Beigeordnete