In den vergangenen Jahren wurden in der Stadt Meerbusch die Projekte „Frühe Hilfen in Meerbusch – FHiM“ und „Teilhabe in Meerbusch TiM“ (Netzwerk gegen Kinderarmut) konzeptioniert und etabliert. Diese Projekte verfolgen, wie auch schon der 2008 eingeführte Eltern- und Babybesuchsdienst, einen niederschwelligen präventiven Ansatz. Allerdings stand das Konzept für den Eltern- und Babybesuchsdienst seinerzeit unter dem öffentlichen Anspruch an eine Stärkung des Wächteramtes in den Jugendämtern. Zwischenzeitlich wurden die Bausteine für einen gelingenden Kinderschutz und ein gesundes Aufwachsen in Meerbusch sukzessive weiterentwickelt und an die sich verändernden Bedingungen angepasst.
Der Meerbuscher Eltern- und Babybesuchsdienst begründet seinen Mehrwert für die Familien insbesondere darin, dass er mit besonderer Fachlichkeit ausgeführt wird. Eine Kinderkrankenschwester und eine Hebamme (je 50% Stundenumfang einer Vollzeitstelle) besuchen alle Eltern mit einem neugeborenen Kind. Während in einigen der umliegenden Städte ein solcher Besuch gar nicht oder nur für das erstgeborene Kind angeboten wird, können die Eltern in Meerbusch nach jeder Geburt eines Kindes einen Besuch erhalten.
Die Eltern erhalten nach der Meldung über eine Geburt ein Glückwunschschreiben der Bürgermeisterin. Darin wird der Besuch einer Mitarbeiterin des „Eltern- und Babybesuchsdienstes“ angekündigt. Die Benachrichtigung über einen konkreten Besuchstermin erhalten die Eltern rund 14 Tage später. In diesem Schreiben wird ihnen ein Besuchstermin vorgeschlagen. Dieser „Willkommensbesuch“ wird allen Eltern angeboten – ob diese ihn annehmen, obliegt einzig und allein den jungen Familien.
In Meerbusch nehmen rund 81% aller Eltern das Angebot des freiwilligen, serviceorientierten Hausbesuches an. Im Jahr 2015 wurden so 351 „frische Eltern“ besucht. Seit Beginn der Babybegrüßungsbesuche fanden insgesamt rund 2.300 Willkommensbesuche statt.
In Zeiten gesellschaftlichen Wandels und soziokultureller
Veränderungen benötigen Eltern und Kinder in zunehmendem Maße Beratung und
Unterstützung. Durch die Geburt eines Kindes verändern sich die gewohnten
Lebens- und Beziehungsstrukturen der Eltern grundlegend. Die neuen
Verantwortlichkeiten für das Kleinkind müssen erkannt, erlernt und auch adäquat
umgesetzt, eigene Bedürfnisse müssen zurückgestellt werden. Hohe psychische und
auch physische Anforderungen müssen bewältigt werden.
Für Säuglinge ist die erste Lebensphase bezogen auf ihre weitere
emotionelle und soziale Entwicklung von besonderer Bedeutung. Neben der
körperlichen Versorgung sind sie angewiesen auf einen positiven Kontakt zu
ihren Bezugspersonen, die in enger emotionaler Kommunikation Anregung, Schutz,
Zuwendung und Halt vermitteln. Durch das Eingehen auf die Bedürfnisse und
Signale des Säuglings entsteht die Voraussetzung für eine sichere Bindung, die
sich im Gedächtnis des Kindes als positive, förderliche Erfahrung abbildet.
Dieses frühzeitig erworbene Muster ist prägend für viele sich entwickelnde
psychische Funktionen, insbesondere auch soziale Verhaltensweisen.
Durch den Besuch einer städt. Mitarbeiterin und die unmittelbare persönliche Beratung sollen Eltern in dieser ersten Lebensphase ihres Kindes beraten und begleitet werden. Den Eltern wird Unterstützung und Hilfe angeboten, um ggf. Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Eltern nehmen in dieser Lebensphase Hilfe und Unterstützung meist gerne an.
Die städtische Mitarbeiterin überbringt zum vereinbarten
Besuchstermin eine „Begrüßungstasche“, die ein kleines Geschenk fürs Baby sowie
wichtige Informationsmaterialien über die erste Zeit nach der Geburt enthält.
In der Meerbuscher Broschüre „Schön, dass Du da bist“ sind
Informationen über wirtschaftliche Unterstützungsmöglichkeiten, Soziale
Beratung und Hilfe, Kinderbetreuung, Familien- und Weiterbildung sowie
Freizeitmöglichkeiten mit konkreten Anschriften und Ansprechpartnern für
Meerbusch dargestellt. Die Broschüre wird gemeinsam mit den Eltern beim
Hausbesuch durchgesprochen, Fragen können so direkt geklärt werden. Dabei
zeigen sich die meisten Eltern an den Informationen über die Kinderbetreuungsmöglichkeiten
besonders interessiert. Unter Hinweis auf den Kita-Navigator werden die Eltern
über die Anmeldeformalitäten informiert. Wenn die Eltern es wünschen, wird
ihnen auf dem hauseigenen PC der Kita-Navigator erklärt.
Je nach der individuellen Situation der Familie, werden
die Informationsmaterialien angepasst (z.B. Informationen für Alleinerziehende,
für Eltern eines behinderten Kindes, Mehrlingsgeburt o.ä.).
Die Eltern entscheiden, welche Materialien sie gerne
behalten möchten, den Rest nehmen die Mitarbeiterinnen selbstverständlich auch
wieder mit.
Besonders eingegangen wird zudem auf die Themen:
Ernährung – hier werden die wichtigsten
Stillempfehlungen, die Flaschennahrung, das Einführen der Beikost sowie der
Übergang zur Familienmahlzeit erläutert. Dabei wird immer auf die Beratung der
niedergelassenen Kinderärzte und Hebammen zu diesem Thema verwiesen.
Kindersicherheit – hier z.B. die Lagerung und
Aufbewahrung von Putzmitteln und Medikamenten, die nicht kindergesicherten
Flaschen einer Hausbar, die Gefahren von Restwasser in einem
Elektrowasserkocher, ungesicherte Steckdosen u.a. Zur Gestaltung eines
sicheren, kindgerechten Schlafplatzes wird beraten.
Die einfache Faustregel „immer eine Hand am Kind“ schützt
vor Herunterfallen von der Wickelkommode oder dem Sofa. Zudem wird den Eltern
empfohlen, sich einmal selbst in die Blickhöhe eines Kleinkindes auf den Boden
zu begeben und die Wohnung aus dieser Perspektive zu betrachten. Über die
Giftnotrufzentrale wird informiert.
Vorsorgeuntersuchungen
„U“ – die
Bedeutung dieser wichtigen Krankenkassenleistung zur frühen Erkennung etwaiger
Fehlentwicklungen, Entwicklungsverzögerungen oder Krankheiten wird besonders
hervorgehoben. Dabei werden die Eltern stets auch auf die Beratung durch die
niedergelassenen Kinderärzte hingewiesen und über das in NRW bestehende
Meldeverfahren (mehr dazu s.u.) aufgeklärt. Ebenso wird das Thema „Impfungen“
angesprochen.
Die Informationen über die aktuellen Kursangebote in Meerbusch wie Babyschwimmen, Pekip, Rückbildung
oder Elternstart NRW sind für die Eltern ein gern angenommener Service, denn
sie brauchen sich diese Informationen dann nicht mühsam selbst heraussuchen
(für Babyschwimmen wird derzeit wg. der Schließung des Meerbuscher Hallenbades
auf private Anbieter bzw. auf die Angebote in Willich und Krefeld verwiesen).
Das Wichtigste, was die Mitarbeiterin zum Besuch jedoch
mitbringt, ist ihre besondere Fachlichkeit, ihre Zeit und ihr „Ohr“!
Viele Eltern (zu 85% sind die Mütter alleine im Termin) freuen sich über den Besuch in der eigenen häuslichen Umgebung. In den überwiegenden Fällen werden die Mitarbeiterinnen sehr herzlich erwartet. Die Gespräche drehen sich vielfach um die Erlebnisse bei und nach der Geburt, um das Stillen und weitere, oft sehr intime Geschehnisse. Dies setzt von beiden Seiten ein großes Vertrauen und von der jeweiligen Mitarbeiterin einen äußerst respektvollen, wertschätzenden Umgang voraus.
Auch auf kulturelle Unterschiede
und/oder sonstige Besonderheiten müssen sich die Mitarbeiterinnen sensibel
einlassen, ohne dabei Dinge zu akzeptieren, die nicht dem fachlichen Standard
entsprechen. Hier muss ggfs. sehr engagiert „Überzeugungsarbeit“ geleistet
werden (z.B. die Nutzung eines Schlafsackes statt eines „Plumeaus“ oder die
konsequente Einhaltung der Rückenlage während des Schlafens, um das Risiko des
plötzlichen Kindstods zu minimieren). Dies ist insbesondere bei Familien mit
Migrationshintergrund oft schwierig, da hier viele andere, tradierte
Vorstellungen bestehen.
Der Hausbesuch wird im Einzelfall, bei nicht
deutschsprachigen Familien (hier sind besonders japanische Familien zu nennen),
auch in englischer Sprache durchgeführt. Natürlich finden die
Babybegrüßungsbesuche auch bei Flüchtlingsfamilien in den Flüchtlingsunterkünften
statt. Auch in den derzeit vorübergehend
betriebenen Notunterkünften in den städt. Turnhallen haben die Mitarbeiterinnen
Mütter besucht und im Rahmen der dort gegebenen Möglichkeiten unterstützt.
Im Durchschnitt liegt die Besuchsdauer bei rund 90
Minuten, damit alle Themen in Ruhe durchgesprochen werden können. Bei erhöhtem
Gesprächsbedarf kann der Besuch bis zu 120 Minuten dauern, bei weitergehendem
Bedarf werden Folgetermine vereinbart. Sollten zusätzliche
Unterstützungsangebote erforderlich sein, vermittelt die Mitarbeiterin an die
zuständigen Stellen. Sie übernimmt damit eine wichtige „Lotsenfunktion“.
Im Regelfall erhalten die Mitarbeiterinnen positive Rückmeldungen, die
meisten Eltern bedanken sich für den erfolgten Besuch und zeigen sich mit den
überbrachten Informationen sehr zufrieden und gut versorgt. Viele Eltern nehmen
von sich aus auch bei späteren Problemen nochmals Kontakt zur jeweiligen
Mitarbeiterin auf und holen sich dort Rat und Hilfe.
Die Anfänge der
Babybegrüßungsbesuche standen dabei, wie im Konzept von 2007 durch den
Jugendhilfeausschuss verabschiedet, im Zusammenhang mit einer Verbesserung des
Kinderschutzes und dem frühzeitigen Erkennen von Kindeswohlgefährdungen. Es
sollten frühzeitig Signale erkannt und
systematisch auf ihr Gefahrenpotenzial hin überprüft werden, um riskante
Entwicklungen im Prozess des Aufwachsens zu verhindern.
Im Rahmen des Handlungskonzeptes der
Landesregierung NRW für einen besseren und wirksameren Kinderschutz trat im
Jahr 2008 die „Verordnung zur Datenmeldung über die Teilnahme an
Kinderfrüherkennungsuntersuchungen/U-Untersuchungen“ (U-TeilnahmeDatVO) in
Kraft. Seither müssen alle durchgeführten U-Untersuchungen an eine zentrale
Landesstelle gemeldet werden. Die Untersuchungen selbst sind jedoch weiterhin
freiwillig und die Entscheidung darüber, ob sie beim Kind durchgeführt werden,
treffen die Eltern.
In der Praxis zeigte sich recht schnell,
dass eine nicht durchgeführte U-Untersuchung alleine keinen Hinweis auf eine
mögliche Kindeswohlgefährdung darstellt. Eine statistische Auswertung ergab,
dass das Meldeverfahren zwar grundsätzlich zu einer Steigerung der
Inanspruchnahme dieser Untersuchungen geführt hat, jedoch sein Beitrag zur
Aufdeckung von Kindeswohlgefährdung im Sinne des Jugendhilferechts (§8a SGB
VIII) insgesamt äußerst gering einzuschätzen ist. In NRW lag die Quote
festgestellter Kindeswohlgefährdungen im Zusammenhang mit einer nicht erfolgten
U-Untersuchung bei 0,0001%. (Quelle: Dr. Th. Meysen, Deutsches Institut
für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF), JALTA, 20.03.2012)
Insgesamt hat sich der Willkommensbesuch in
Meerbusch zu einer Unterstützung für alle Familien entwickelt, die vor allem
als Serviceleistung der Stadt empfunden wird.
Im Rahmen der Weiterentwicklung wurde im Jahr 2012 das Konzept „FHiM“ – Frühe Hilfen in Meerbusch beschlossen. Seither können 10 zusätzliche Stunden einer weiteren Kinderkrankenschwester über die „Bundesinitiative Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen 2012 – 2015“ (die in 2016 verlängert wurde) finanziert und den Eltern seitdem die sog. „Frühen Hilfen“ angeboten werden.
In der praktischen Umsetzung führen alle drei Mitarbeiterinnen sowohl Erstbesuche als auch längerfristige „Frühe Hilfen“ durch. Dadurch können auch Vertretungssituationen im Sinne der Familien gut geregelt werden. Frühe Hilfen bedeuten dabei eine längerfristige (mind. 3 Kontakte), aufsuchende Begleitung der Familien vor allem im ersten bis hin zum dritten Lebensjahr.
Durch den „Willkommensbesuch“ sind die Mitarbeiterinnen der Frühen Hilfen den Eltern bereits bekannt und viele Eltern lassen den Kontakt bei Bedarf wieder aufleben. Der „Willkommensbesuch“ stellt somit oftmals den Türöffner für weitergehende Hilfen dar.
Da das im Jahr 2007 beschlossene „Konzept zur Verbesserung des Kinderschutzes in Meerbusch“ nur noch eingeschränkte Gültigkeit hat und weitere Bausteine hinzugekommen sind, soll dem Jugendhilfeausschuss im Rahmen der Qualitätsentwicklung das überarbeitete Konzept in einer der nächsten Sitzungen vorgelegt werden.
In Vertretung
gez.
Frank Maatz
Erster Beigeordneter