Betreff
Organisation der Jugendgerichtshilfe
Vorlage
FB2/188/2013
Art
Informationsvorlage

 

Die Mitwirkung der Jugendhilfe in Strafverfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) ist eine Aufgabe der Jugendämter (vgl. § 52 SGB VIII) und wird seit dem 01.01.2013 im hiesigen Jugendamt spezialisiert von zwei MitarbeiterInnen (Frau Irwin und Herr Halter) mit insgesamt 50 Wochenstunden ausgeführt. Zuvor wurde dies von jedem Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) anteilig übernommen.

 

Die Spezialisierung durch den Fachdienst ermöglicht den Mitarbeitern sich intensiver mit den Aufgaben der Jugendgerichtshilfe zu befassen, als dies bisher neben den Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstens (Hilfen zur Erziehung, Kindeswohlgefährdungen, Trennungs- und Scheidungsberatung etc.) möglich war. Weiterhin wird eine Optimierung der Arbeitsabläufe erwartet, die sich u.a. durch die Bündelung der Ressourcen, einer höheren Fachlichkeit und größere Routine kennzeichnet.

 

Mit der Konzentration der Aufgabenwahrnehmung einer spezialisierten „Jugendgerichtshilfe“ und der Herausnahme dieser Aufgabe aus der Bezirkssozialarbeit entsteht zudem eine notwendige Entlastung für die Fachkräfte in den Bezirken zugunsten ihrer Kernaufgaben im Bereich der Hilfen zur Erziehung und der Familiengerichtshilfe.

 

Die fachlich-inhaltliche Ausgestaltung der Aufgaben basiert auf dem SGB VIII, die Art und Weise der Einbindung des Fachdienstes richtet sich nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG). Ziel des Jugendstrafrechts ist somit gem. § 2 JGG vor allem erneuten Straftaten entgegenzuwirken. Um dies zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.

 

Begehen Jugendliche (14-17 Jahren) oder junge Volljährige (18-20 Jahren) eine Straftat und die Polizei erhält Kenntnis davon, leitet diese den Ermittlungsvorgang an die Staatsanwaltschaft weiter, welche entscheidet ob Anklage erhoben wird. Die Jugendgerichtshilfe ist am gesamten strafrechtlichen Verfahren zu beteiligen, hat jedoch keinen Ermittlungsauftrag. Der Fachdienst wird über die Straftat entweder bereits durch das Ordnungsamt, Polizei oder durch Staatsanwaltschaft und das Jugendgericht informiert und nimmt daraufhin Kontakt zur betroffenen Familie auf. Es erfolgt eine Aufklärung über die Aufgaben und Angebote der Jugendhilfe sowie der Jugendgerichtshilfe im Besonderen.


 

Abhängig von der Schwere der Tat und des Verfahrensstands erfolgt ein persönliches Gespräch, welches dazu dient die persönliche Lebenssituation der Betroffenen, den Entwicklungsstand sowie die Einstellung in Bezug auf den Tatvorwurf zu erfahren. Bei Jugendlichen sind die Personensorgeberechtigten in jedem Fall zu beteiligen und es wird das bisherige erzieherische Verhalten und Einwirken thematisiert.

 

Jugenddelinquenz ist in Bezug auf den einzelnen empirisch gesehen ein vorübergehendes Phänomen auf dem Weg zum Erwachsenwerden und es wird i.d.R. entsprechend innerfamiliär erzieherisch auf die Jugendlichen eingewirkt, so dass nur ein geringer Teil der staatsanwaltlich und gerichtlich auffälligen Jugendlichen erneut straffällig wird.

 

Im Rahmen der ersten Kontaktaufnahme mit der Familie gilt es zu klären, inwieweit ein erzieherisches Einwirken erforderlich ist und durch welche Maßnahme dies ggf. erfolgen sollte. Es kann somit zur Einleitung einer pädagogischer Maßnahmen kommen, die Vorbereitung zur Hauptverhandlung erfolgen und / oder eine haftvermeidende Maßnahme eingeleitet werden (z.B. im Rahmen von U-Haftvermeidung).

 

Es ist außerdem zu prüfen, inwieweit durch eine Diversion eine Verfahreneinstellung erfolgen kann. Gem. der Richtlinie zur Förderung der Diversion im Jugendstrafrecht des Justizministeriums, des Innenministeriums, des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder und des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie sollte ein formelles Verfahren nur stattfinden, wenn durch weniger einschneidende Maßnahmen eine erzieherische Einwirkung nicht zu erreichen ist. Eine Einstellung des Verfahrens kann durch den Fachdienst des Jugendamtes ggf. auch in Verbindung mit einer Weisung und Auflage angeregt werden (s.g. Informelle Sanktionierung).

 

Als formelle Sanktionen (gem. §§ 5,10 JGG) gelten Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe:

  • Erziehungsmaßregeln:
    • Weisungen gem. § 10 Abs. 1 JGG: u.a. Arbeitsleistungen, Betreuungsweisung, Sozialer-Trainingskurs, Täter-Opfer-Ausgleich, Teilnahme am Verkehrserziehungskurs
    • Weisung gem. § 10 Abs. 2 JGG: heilerzieherische Behandlung, Entziehungskur
    • ambulant oder stationäre Hilfen zur Erziehung gem. § 12 JGG/ §§ 27 ff SGB VIII
  • Zuchtmittel (§§13ff JGG)
    • Verwarnung (Verurteilung mit oder ohne Auflage)
    • Auflagen: Schadenswiedergutmachung, Entschuldigung beim Verletzten, Arbeitsauflage, Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung
    • Jugendarrest: Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest
  • Jugendstrafe
    • wegen „schädlicher Neigung“ oder Schwere der Schuld zu vollstreckende
      Jugendstrafe
    • Strafaussetzung zur Bewährung

 

So genannte Maßregeln der Besserung (§§ 7, 105 Abs. 1 106 Abs. 3 bis 7 JGG) können die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB), Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), Sicherungsverwahrung oder Entziehung der Fahrerlaubnis sein.

 

Je nach Stand des Verfahrens erhält die Staatsanwaltschaft und das Gericht eine entsprechende Stellungnahme des Fachdienstes über die Lebenssituation der Betroffenen und es wird eine Sanktion angeregt. In der Hauptverhandlung nimmt die Jugendgerichtshilfe vor dem Gericht zudem mündlich Stellung zu den Angeklagten.


 

Grundsätzlich sollte eine entsprechende Sanktion in Zusammenhang zum Tatvorwurf oder zur Lebenssituation der Betroffenen stehen. Konsumiert ein Jugendlicher beispielsweise Betäubungsmittel, kann eine Anbindung an die Drogenberatungsstelle erfolgen oder wird ihm Körperverletzung vorgeworfen, kann ein Antiaggressionstraining auferlegt werden.

 

Aufgabe der MitarbeiterInnen des Fachdienstes ist es bei den Erziehungsmaßregeln und Arbeitsauflage auch diese Einzuleiten und zu Überprüfen sowie eine entsprechende Rückmeldung an die Staatsanwaltschaft (sofern noch keine Anklage erhoben wurde) oder ans Jugendgericht zu geben.

In Meerbusch kam es im vergangenen Jahr am häufigsten zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (z.B. Konsum von Cannabis), Körperverletzung (meist Konflikte zwischen Jugendlichen mit Aggressionspotential z.B. als Reaktion auf Beleidigung) und Diebstahl (z.B. „Abziehen“ oder Ladendiebstahl), gefolgt von Beförderungserschleichungen („Schwarzfahren“). Somit finden hier die Erziehungsmaßregeln Arbeitsauflagen, Drogenpräventionskurse und Betreuungsweisungen die größte Anwendung.

 

Neben der Klärung eines erzieherischen Bedarfs erfolgt durch den Fachdienst außerdem die Prüfung der strafrechtlichen Verantwortung der Jugendlichen gem. § 3 JGG. Bei jungen Volljährigen erfolgt eine Stellungnahme, ob aufgrund des Entwicklungsstandes und der Lebenssituation noch das Jugendstrafrecht Anwendung findet (§105 JGG) oder das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist.

 

Bei Strafvorwürfen gegen Kinder (unter 14 Jahren) erfolgt bei erstmaligen und minderschweren Vergehen ein schriftliches Beratungsangebot an die Personensorgeberechtigten. Bei einer zu vermutenden gefährdeten Entwicklung eines Kindes erfolgt eine verbindliche Einladung und ggf. die Einleitung einer Hilfe zur Erziehung.

 

Neben den hier beschriebenen Aufgaben ist für eine gelingende Jugendgerichtshilfe eine gute Vernetzung mit den beteiligten Institutionen erforderlich. Hierzu gehören u.a. Ordnungsamt, Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgericht, Bewährungshilfe, Jugendarrestanstalten, beratende Institutionen (z.B. Drogenberatungsangebote der DROBs oder des Caritasverbandes oder der SKM bez. Antiaggressionstraining in Neuss), Schulen, die KollegInnen des ASD und die Einsatzstelle zur Ableistung der Arbeitsauflage. Letzteres gilt es regelmäßig zu akquirieren, um den Jugendlichen/ jungen Volljährigen zeitnah einen Einsatzort mitteilen zu können. Mögliche Einsatzstellen in Meerbusch sind u.a. Senioreneinrichtungen, die Arche Noah, der Abenteuerspielplatz, Jugendzentren, Pfarrgemeinden, Kindergärten und der Servicebereich 11 (Hochbauamt Abt. Grünflächen). Darüber hinaus nehmen die MitarbeiterInnen des Fachdienstes zum fachlichen Austausch u.a. am regionalen Arbeitskreis Jugendgerichthilfe im Rhein-Kreis Neuss sowie am überregionalen Arbeitskreis des LVR teil.

 

Abschließend ist herauszustellen, dass die Aufgabenfülle und die wachsenden, häufig widersprüchlichen Erwartungen an die Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes quantitativ und qualitativ nicht mehr ausschließlich durch Generalisten zu bewältigen ist und insofern der spezialisierte Falldienst durch 2 Mitarbeiter des Jugendamtes die Aufgabenwahrnehmung verbessert hat.

 



Statistik:

 

Jugendgerichtshilfe

 

2010

2011

2012

Im Berichtsjahr

zugegangene

und bearbeitete

Strafsachen

Verfahren

Jugend-

liche

Heran-wachsende

 

Summe

 

Jugend-

liche

Heran-wachsende

Summe

 

Jugend-

liche

 

Heran-

wachsende

 

Summe

Jugendgericht

55

70

125

57

55

112

53

57

110

Jugendkammer

3

3

 

6

 

1

3

4

 

1

 

2

3

 

Jugendschöffengericht

 

12

12

24

9

17

26

2

10

12

Polizeiliche Vernehmung / Ermittlung

44

21

 

65

 

52

18

70

 

22

 

6

28

 

Staatsanwaltsakte

 

90

43

133

71

43

114

51

34

85

Gesamt

204

149

353

190

136

326

129

109

238

 

 

 

Die Fallzahl bedeutet nicht zwangsläufig eine Reduzierung der Delikte. Durch unterschiedliche Verfahrensweisen der Staatsanwaltschaft können mehrere Delikte in einem Verfahren verhandelt werden.

 

Generell war 2012 in NRW der Anteil der unter 21-Jährigen an allen Tatverdächtigen, gem. der Statistik des Landeskriminalamtes, auf dem niedrigsten Stand seit mehr als 40 Jahren.

 

 


In Vertretung

 

 

 

Angelika Mielke-Westerlage

Erste Beigeordnete