Betreff
Inobhutnahmen gemäß § 42 SGB VIII
Vorlage
FB2/156/2013
Art
Informationsvorlage

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2011 die Jugendämter in Deutschland 38.500 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen. Das waren gut 2.100 (+ 6 %) mehr als 2010. Insgesamt hat die Zahl der Inobhutnahmen in den letzten Jahren stetig zugenommen, gegenüber 2007 (28.200 Inobhutnahmen) stieg sie um 36 %. Auch die Jugendämter in NRW müssen immer mehr Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung schützen. Im vergangenen Jahr wurden in NRW lt.  Statistischem Landesamt insgesamt 10.617 Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche im Jahr 2011 angeordnet. Das waren 1,7 % mehr als 2010 .

 

Bei einer Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII handelt es sich um eine sozialpädagogische Krisenintervention durch das Jugendamt. Eine Inobhutnahme ermöglicht eine vorläufige und zeitlich begrenzte Maßnahme in Eil- und Notfällen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Die Entscheidung über eine Inobhutnahme ist eine hoheitliche Aufgabe des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, die nicht, wie weitere inhaltliche Aufgaben, an einen freien Jugendhilfeträger delegiert werden kann.

 

Grundsätzlich können drei Situationen zu einer Inobhutnahme führen:

 

  1. ein Kind oder Jugendlicher bittet um Inobhutnahme;
  2. eine festgestellte Kindeswohlgefährdung erfordert eine Inobhutnahme und

a)            die Personensorgeberechtigten widersprechen dieser nicht

und

b)            eine familiengerichtliche Entscheidung kann nicht rechtzeitig eingeholt werden;

  1. die unbegleitete Einreise eines ausländisches Kindes oder Jugendlichen, sofern in Deutschland weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte leben.

 

Die Gründe für Inobhutnahmen liegen zumeist in einer Vernachlässigung/ Verwahrlosung des Kindes/Jugendlichen aufgrund unterschiedlichster Problemlagen in den Familien (Überforderung, mangelnde Erziehungskompetenz, Suchtproblematik, psychische Erkrankungen etc.), aber auch Gewalt und Missbrauch machen einen Eingriff des Jugendamtes erforderlich.

 

Zur Abwendung der Gefährdung erfolgt eine vorübergehende Unterbringung des Minderjährigen soweit möglich im persönlichen Umfeld oder einer Bereitschaftspflegestelle, in den meisten Fällen jedoch in einer geeigneten Schutzeinrichtung. Dies ist insbesondere abhängig von Alter und Bedarf des Kindes/Jugendlichen.

 

Schon seit Gründung des Jugendamtes Meerbusch steht für hier erfolgende Inobhutnahmen die Schutzeinrichtung der Ev. Jugend- und Familienhilfe gGmbH mit Sitz in Kaarst, Sebastianusstraße 1 –  „Pädagogische Ambulanz“ - zur Verfügung. Erstmals zum 01.01.1999 wurde eine schriftliche Vereinbarung über die Betreuung der in Obhut genommenen jungen Menschen – einschließlich des telefonischen Notdienstes außerhalb der städtischen Öffnungszeiten – geschlossen.

 

Diese Vereinbarung bedurfte nun hinsichtlich der hoheitlichen Entscheidungspflicht des öffentlichen Jugendhilfeträgers über die Inobhutnahme der Klarstellung, so dass mit Wirkung zum 01.01.2013 die beigefügte überarbeitete Vereinbarung geschlossen wurde.

 

Während der Dienstzeiten des Jugendamtes erfolgt die Entscheidung über die Inobhutnahme ohnehin durch die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes. Außerhalb der Öffnungszeiten ist die Inobhutnahme künftig vom diensthabenden Mitarbeiter des Bereitschaftsdienstes im Fachbereich 1 – Öffentliche Sicherheit und Ordnung – anzuordnen. Die Übertragung dieser Entscheidungsbefugnis vom Jugendamt auf den Mitarbeiter des Bereitschaftsdienstes im FB 1 erfolgt durch interne Dienstanweisung.

 

 

 

Die Inobhutnahme in der Praxis

 

Die Entscheidung zur Inobhutnahme kann zum einen auf Veranlassung des Jugendamtes erfolgen, wenn Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung nicht kurzfristig und zweifelsfrei ausgeräumt werden können. Erscheint die Notwendigkeit einer Inobhutnahme jedoch im Rahmen des Bereitschaftsdienstes gegeben (z.B. nach Aufgreifen durch die Polizei nach Entweichung, in akuten Krisensituationen in der Familie etc.) oder erfolgt eine Anfrage durch Eltern oder den Minderjährigen selbst mit Hinweisen auf eine mögliche akute Kindeswohlgefährdung nimmt die Pädagogische Ambulanz umgehend Kontakt zum diensthabenden Mitarbeiter auf, um den Sachverhalt zu besprechen und ggf. eine Anordnung der Inobhutnahme nach § 42 SBG VIII zu veranlassen. Das Jugendamt ist dann schnellstmöglich zu informieren.

 

In enger Zusammenarbeit von Jugendamt (ASD) und Pädagogischer Ambulanz wird versucht, die Gründe, die zur Inobhutnahme führten, ausfindig zu machen und Fakten zu sammeln, die zur Lösung beitragen können.

 

Die Personensorgeberechtigten werden, sofern sie zu erreichen sind, unverzüglich über die Inobhutnahme informiert und eine erste Gefährdungseinschätzung vorgenommen. Das Kind bzw. der/die Jugendliche hat in der Inobhutnahme die Möglichkeit, eine Person des Vertrauens zu verständigen, sofern dies keine Gefährdung darstellt.

 

Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, im Rahmen der Inobhutnahme alle erforderlichen Rechtshandlungen zum Wohl des Kindes vornehmen; der Wille der Personensorgeberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen.

 

Spätestens innerhalb von 3 Werktagen nach Inobhutnahme hat ein erstes Gespräch unter Beteiligung von Jugendamt, Pädagogischer Ambulanz, den Personensorgeberechtigten und dem Minderjährigen zur Klärung der Perspektiven und möglicher Unterstützungsangebote z.B. im Rahmen von Hilfen zur Erziehung zu erfolgen.

 

Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme, kehrt das Kind bzw. der/die Jugendliche unverzüglich in die Familie zurück, sofern nach Einschätzung der Fachkräfte des Jugendamtes keine gewichtigen Anhaltspunkte für eine Gefährdung bestehen oder die Eltern bereit und in der Lage sind, diese ggf. durch die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff SGB VIII abzuwenden.

 

Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme, ist aber von einer Gefährdung des Kindeswohls auszugehen, welche nicht von den Personensorgeberechtigten abgewendet werden kann, erfolgt binnen 48 Stunden die Anrufung des Familiengerichts durch das Jugendamt. Das Familiengericht entscheidet dann über die erforderlichen Maßnahmen. Bis zu dieser Entscheidung verbleibt das Kind oder der/die Jugendliche in der Inobhutnahme.

 

Diese endet entweder durch die Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorgeberechtigten und/oder durch Einleitung einer Hilfe zur Erziehung.

 

Die Inobhutnahme in der Pädagogischen Ambulanz ist keine freiheitsentziehende Maßnahme, weshalb Entweichungen nicht gewaltsam verhindert werden dürfen. Einzige Ausnahmesituation stellt die Verhinderung einer Gefahr für Leib und Leben des Kindes oder Jugendlichen oder die Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben Dritter dar. Je nach Verhalten und Alter der Kinder/Jugendlichen können sich die Kinder/Jugendlichen auf dem Gelände ggf. außerhalb der Schutzstelle bewegen.

 

Soweit es der Kinderschutz erfordert, kann ein Besuchsverbot ausgesprochen oder der Unterbringungsort geheim gehalten werden.

 

 

Die unbegleitete Einreise eines Minderjährigen aus dem Ausland erfordert als Sonderfall die sofortige Bestellung eines Vormunds oder Pflegers, der seine Aufgaben entsprechend dem vom Gericht übertragenen Wirkungskreis wahrnimmt und im Regelfall der Inobhutnahme zustimmen wird, um den weiteren Verbleib zu klären. Derartige Fälle sind in den letzten Jahren in Meerbusch nicht aufgetreten.

 

 

Da es sich bei der Inobhutnahme um eine „vorübergehende Unterbringung“ handelt, sollte nach max. 6 Wochen eine Perspektivklärung erfolgt sein. Manche Problemlagen erfordern jedoch einen längeren Zeitraum bis zur Klärung der weiteren Perspektive des untergebrachten Kindes/Jugendlichen und seiner Familie, in Einzelfällen erfolgt diese nach 10 Wochen.

 

In den meisten Fällen gelingt den MitarbeiterInnen des Jugendamtes Meerbusch jedoch eine frühere Beendigung nach 1 bis 10 Tagen, häufig durch Rückführung mit ambulanten, erzieherischen Unterstützungsmaßnahmen oder ggf. der Überleitung in eine stationäre Unterbringung im Rahmen von Hilfen zur Erziehung.

 

 

 

Kosten

 

Die Kosten für die Inanspruchnahme der Pädagogischen Ambulanz setzen sich aus der Jahrespauschale (ab 2013 in Höhe von 2.300,81 € zur Deckung der Grundkosten der Aufnahmebereitschaft und für den Rufbereitschaftsdienst der Krisenintervention) für die an der Solidargemeinschaft beteiligten Jugendämter und dem täglichen Leistungsentgelt bei tatsächlicher Belegung zusammen. Dieses beträgt derzeit 160,38 € pro Kalendertag. Jugendämter, die nicht zur Solidargemeinschaft gehören, zahlen einen erhöhten Entgeltsatz von derzeit 187,64 €.

 

Diese Entgelte entsprechen den für Jugendschutzstellen üblichen Kostensätzen.

 

 

 

 

 

Fallzahlen

 

Zahl der Inobhutnahmen in der Pädagogischen Ambulanz und anderen Schutzstellen (hier einschließlich der Minderjährigen aus Meerbusch, deren Inobhutnahme im Zuständigkeitsbereich eines anderen Jugendamtes notwendig wurde; die Kosten sind von hier zu übernehmen) seit 2008:

 

Jahr

Pädagogische Ambulanz

Unterbringungstage

Kosten €

2008

19

170

28.580,15

2009

21

234

38.501,25

2010

15

280

48.724,64

2011

9

76

16.287,95

2012

6

140

26.676,67

 

 

 

 

 

 

 

 

Jahr

Andere Schutzstellen
(einschl. Unterbringung durch andere JÄ)

Unterbringungstage

Kosten €

2008

2

3

543,53

2009

7

367

13.546,01

2010

6

33

524,73

2011

7

27

3.622,15

2012

3

16

1.373,42

 

 

Die Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Ambulanz der Ev. Jugend- und Familienhilfe gGmbH hat sich in der Vergangenheit bewährt und wird auf Basis der überarbeiteten Vereinbarung fortgesetzt.

 

 

 

In Vertretung

 

 

 

Angelika Mielke-Westerlage

Erste Beigeordnete