Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2011 die
Jugendämter in Deutschland 38.500 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen. Das
waren gut 2.100 (+ 6 %) mehr als 2010. Insgesamt hat die Zahl der Inobhutnahmen
in den letzten Jahren stetig zugenommen, gegenüber 2007 (28.200 Inobhutnahmen)
stieg sie um 36 %. Auch die Jugendämter in NRW müssen immer mehr Kinder
vor Gewalt und Vernachlässigung schützen. Im vergangenen Jahr wurden in NRW
lt. Statistischem Landesamt insgesamt
10.617 Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche im Jahr 2011 angeordnet. Das
waren 1,7 % mehr als 2010 .
Bei einer Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII handelt es sich um eine
sozialpädagogische Krisenintervention durch das Jugendamt. Eine Inobhutnahme
ermöglicht eine vorläufige und zeitlich begrenzte Maßnahme in Eil- und Notfällen
zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Die Entscheidung über eine
Inobhutnahme ist eine hoheitliche Aufgabe des öffentlichen Trägers der
Jugendhilfe, die nicht, wie weitere inhaltliche Aufgaben, an einen freien
Jugendhilfeträger delegiert werden kann.
Grundsätzlich können drei Situationen zu einer Inobhutnahme führen:
- ein Kind oder Jugendlicher bittet um
Inobhutnahme;
- eine festgestellte Kindeswohlgefährdung
erfordert eine Inobhutnahme und
a) die
Personensorgeberechtigten widersprechen dieser nicht
und
b) eine familiengerichtliche Entscheidung kann nicht
rechtzeitig eingeholt werden;
- die unbegleitete Einreise eines
ausländisches Kindes oder Jugendlichen, sofern in Deutschland weder
Personensorge- noch Erziehungsberechtigte leben.
Die Gründe für Inobhutnahmen liegen zumeist in einer Vernachlässigung/
Verwahrlosung des Kindes/Jugendlichen aufgrund unterschiedlichster Problemlagen
in den Familien (Überforderung, mangelnde Erziehungskompetenz,
Suchtproblematik, psychische Erkrankungen etc.), aber auch Gewalt und
Missbrauch machen einen Eingriff des Jugendamtes erforderlich.
Zur Abwendung der Gefährdung erfolgt eine vorübergehende Unterbringung
des Minderjährigen soweit möglich im persönlichen Umfeld oder einer
Bereitschaftspflegestelle, in den meisten Fällen jedoch in einer geeigneten
Schutzeinrichtung. Dies ist insbesondere abhängig von Alter und Bedarf des
Kindes/Jugendlichen.
Schon seit Gründung des Jugendamtes Meerbusch steht für hier erfolgende
Inobhutnahmen die Schutzeinrichtung der Ev. Jugend- und Familienhilfe gGmbH mit
Sitz in Kaarst, Sebastianusstraße 1 –
„Pädagogische Ambulanz“ - zur Verfügung. Erstmals zum 01.01.1999 wurde
eine schriftliche Vereinbarung über die Betreuung der in Obhut genommenen
jungen Menschen – einschließlich des telefonischen Notdienstes außerhalb der
städtischen Öffnungszeiten – geschlossen.
Diese Vereinbarung bedurfte nun hinsichtlich der hoheitlichen
Entscheidungspflicht des öffentlichen Jugendhilfeträgers über die Inobhutnahme
der Klarstellung, so dass mit Wirkung zum 01.01.2013 die beigefügte
überarbeitete Vereinbarung geschlossen wurde.
Während der Dienstzeiten des Jugendamtes erfolgt die Entscheidung über
die Inobhutnahme ohnehin durch die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes. Außerhalb
der Öffnungszeiten ist die Inobhutnahme künftig vom diensthabenden Mitarbeiter
des Bereitschaftsdienstes im Fachbereich 1 – Öffentliche Sicherheit und Ordnung
– anzuordnen. Die Übertragung dieser Entscheidungsbefugnis vom Jugendamt auf
den Mitarbeiter des Bereitschaftsdienstes im FB 1 erfolgt durch interne
Dienstanweisung.
Die Inobhutnahme in der Praxis
Die Entscheidung zur Inobhutnahme kann zum einen auf Veranlassung des
Jugendamtes erfolgen, wenn Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung nicht
kurzfristig und zweifelsfrei ausgeräumt werden können. Erscheint die
Notwendigkeit einer Inobhutnahme jedoch im Rahmen des Bereitschaftsdienstes
gegeben (z.B. nach Aufgreifen durch die Polizei nach Entweichung, in akuten
Krisensituationen in der Familie etc.) oder erfolgt eine Anfrage durch Eltern
oder den Minderjährigen selbst mit Hinweisen auf eine mögliche akute
Kindeswohlgefährdung nimmt die Pädagogische Ambulanz umgehend Kontakt zum
diensthabenden Mitarbeiter auf, um den Sachverhalt zu besprechen und ggf. eine
Anordnung der Inobhutnahme nach § 42 SBG VIII zu veranlassen. Das Jugendamt ist
dann schnellstmöglich zu informieren.
In enger Zusammenarbeit von Jugendamt (ASD) und Pädagogischer Ambulanz
wird versucht, die Gründe, die zur Inobhutnahme führten, ausfindig zu machen
und Fakten zu sammeln, die zur Lösung beitragen können.
Die Personensorgeberechtigten werden, sofern sie zu erreichen sind,
unverzüglich über die Inobhutnahme informiert und eine erste
Gefährdungseinschätzung vorgenommen. Das Kind bzw. der/die Jugendliche hat in
der Inobhutnahme die Möglichkeit, eine Person des Vertrauens zu verständigen,
sofern dies keine Gefährdung darstellt.
Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, im Rahmen der
Inobhutnahme alle erforderlichen Rechtshandlungen zum Wohl des Kindes
vornehmen; der Wille der Personensorgeberechtigten ist dabei angemessen zu
berücksichtigen.
Spätestens innerhalb von 3 Werktagen nach Inobhutnahme hat ein erstes
Gespräch unter Beteiligung von Jugendamt, Pädagogischer Ambulanz, den
Personensorgeberechtigten und dem Minderjährigen zur Klärung der Perspektiven
und möglicher Unterstützungsangebote z.B. im Rahmen von Hilfen zur Erziehung zu
erfolgen.
Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme, kehrt das
Kind bzw. der/die Jugendliche unverzüglich in die Familie zurück, sofern nach
Einschätzung der Fachkräfte des Jugendamtes keine gewichtigen Anhaltspunkte für
eine Gefährdung bestehen oder die Eltern bereit und in der Lage sind, diese
ggf. durch die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff SGB VIII
abzuwenden.
Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme, ist aber
von einer Gefährdung des Kindeswohls auszugehen, welche nicht von den
Personensorgeberechtigten abgewendet werden kann, erfolgt binnen 48 Stunden die
Anrufung des Familiengerichts durch das Jugendamt. Das Familiengericht
entscheidet dann über die erforderlichen Maßnahmen. Bis zu dieser Entscheidung
verbleibt das Kind oder der/die Jugendliche in der Inobhutnahme.
Diese endet entweder durch die Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an
die Personensorgeberechtigten und/oder durch Einleitung einer Hilfe zur
Erziehung.
Die Inobhutnahme in der Pädagogischen Ambulanz ist keine
freiheitsentziehende Maßnahme, weshalb Entweichungen nicht gewaltsam verhindert
werden dürfen. Einzige Ausnahmesituation stellt die Verhinderung einer Gefahr
für Leib und Leben des Kindes oder Jugendlichen oder die Abwendung einer Gefahr
für Leib und Leben Dritter dar. Je nach Verhalten und Alter der Kinder/Jugendlichen
können sich die Kinder/Jugendlichen auf dem Gelände ggf. außerhalb der
Schutzstelle bewegen.
Soweit es der Kinderschutz erfordert, kann ein Besuchsverbot
ausgesprochen oder der Unterbringungsort geheim gehalten werden.
Die unbegleitete Einreise eines Minderjährigen aus dem Ausland
erfordert als Sonderfall die sofortige Bestellung eines Vormunds oder Pflegers,
der seine Aufgaben entsprechend dem vom Gericht übertragenen Wirkungskreis
wahrnimmt und im Regelfall der Inobhutnahme zustimmen wird, um den weiteren
Verbleib zu klären. Derartige Fälle sind in den letzten Jahren in Meerbusch
nicht aufgetreten.
Da es sich bei der Inobhutnahme um eine „vorübergehende Unterbringung“
handelt, sollte nach max. 6 Wochen eine Perspektivklärung erfolgt sein. Manche
Problemlagen erfordern jedoch einen längeren Zeitraum bis zur Klärung der
weiteren Perspektive des untergebrachten Kindes/Jugendlichen und seiner
Familie, in Einzelfällen erfolgt diese nach 10 Wochen.
In den meisten Fällen gelingt den MitarbeiterInnen des Jugendamtes
Meerbusch jedoch eine frühere Beendigung nach 1 bis 10 Tagen, häufig durch
Rückführung mit ambulanten, erzieherischen Unterstützungsmaßnahmen oder ggf.
der Überleitung in eine stationäre Unterbringung im Rahmen von Hilfen zur
Erziehung.
Kosten
Die Kosten für die Inanspruchnahme der Pädagogischen Ambulanz setzen
sich aus der Jahrespauschale (ab 2013 in Höhe von 2.300,81 € zur Deckung der
Grundkosten der Aufnahmebereitschaft und für den Rufbereitschaftsdienst der Krisenintervention)
für die an der Solidargemeinschaft beteiligten Jugendämter und dem täglichen
Leistungsentgelt bei tatsächlicher Belegung zusammen. Dieses beträgt derzeit
160,38 € pro Kalendertag. Jugendämter, die nicht zur Solidargemeinschaft
gehören, zahlen einen erhöhten Entgeltsatz von derzeit 187,64 €.
Diese Entgelte entsprechen den für Jugendschutzstellen üblichen
Kostensätzen.
Fallzahlen
Zahl der Inobhutnahmen in der Pädagogischen Ambulanz und anderen
Schutzstellen (hier einschließlich der Minderjährigen aus Meerbusch, deren
Inobhutnahme im Zuständigkeitsbereich eines anderen Jugendamtes notwendig
wurde; die Kosten sind von hier zu übernehmen) seit 2008:
Jahr |
Pädagogische Ambulanz |
Unterbringungstage |
Kosten € |
2008 |
19 |
170 |
28.580,15 |
2009 |
21 |
234 |
38.501,25 |
2010 |
15 |
280 |
48.724,64 |
2011 |
9 |
76 |
16.287,95 |
2012 |
6 |
140 |
26.676,67 |
|
|
|
|
|
|
|
|
Jahr |
Andere Schutzstellen |
Unterbringungstage |
Kosten € |
2008 |
2 |
3 |
543,53 |
2009 |
7 |
367 |
13.546,01 |
2010 |
6 |
33 |
524,73 |
2011 |
7 |
27 |
3.622,15 |
2012 |
3 |
16 |
1.373,42 |
Die Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Ambulanz der Ev. Jugend- und
Familienhilfe gGmbH hat sich in der Vergangenheit bewährt und wird auf Basis
der überarbeiteten Vereinbarung fortgesetzt.
In Vertretung
Angelika Mielke-Westerlage
Erste Beigeordnete