Betreff
Planung einer interkommunalen Fachstelle im Familienbüro des Jugendamtes des Rhein-Kreis Neuss für die Verfahrenslotsen
Vorlage
FB21/1706/2023
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

 

  1. Der Jugendhilfeausschuss begrüßt das Bestreben der Jugendämter im Rhein-Kreises Neuss zur Einrichtung einer gemeinsamen Fachstelle für die Verfahrenslotsen und die Einbindung der Fachstelle in das Familienbüro des Jugendamtes des Rhein-Kreis Neuss.
  2. Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung, gemeinsam mit den Jugendämtern des Rhein-Kreises Neuss eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung zu entwickeln und die entsprechenden Personalkosten einzuplanen.

 

 


Sachverhalt:

 

Das am 10.06.2021 in Kraft getretene Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) hat die Grundlage für eine Zusammenführung aller Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit einer Behinderung in der Kinder- und Jugendhilfe geschaffen. Die bisherige Aufteilung zwischen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und dem Träger der Eingliederungshilfe soll damit ab dem 01.01.2028 entfallen. Allerdings muss vorab für die nähere Ausgestaltung der sog. „inklusiven Lösung“ noch ein Bundesgesetz verabschiedet werden.

 

Auf dem Weg zu einer inklusiven Lösung sieht das KJSG ein Stufenmodell vor.

 

Erste Stufe ab dem 10.06.2021: Mit der bereits am 10.06.2021 in Kraft getretenen ersten Stufe ist durch verschiedene Änderungen im SGB VIII die inklusive Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verankert und sind Schnittstellen zur Eingliederungshilfe im SGB IX bereinigt worden.

 

Zweite Stufe ab dem 01.01.2024: Mit der zweiten Stufe werden ab 2024 in § 10b SGB VIII die Verfahrenslotsen eingeführt, die zunächst bis zum 31.12.2027 befristet sind. Möglichweise erfolgt eine Fortführung über das Jahre 2028 hinaus.

 

Dritte Stufe ab dem 01.01.2028: Die dritte und letzte Stufe des KJSG bildet die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle junge Menschen; der Vorrang des SGB IX für junge Menschen mit einer (drohenden) geistigen, körperlichen oder Sinnesbehinderung entfällt (§ 10 Abs. 4 SGB VIII).

Die mit der zweiten Stufe 01.01.2024 neu eingeführten Verfahrenslotsen haben im Wesentlichen zwei Aufgaben: Zum einen unterstützen und begleiten sie junge Menschen sowie deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII und dem SGB IX (§ 10b Abs. 1 SGB VIII). Zum anderen unterstützen sie den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in dessen Zuständigkeit (§ 10b Abs. 2 SGB VIII).

 

Nach § 10b Abs. 1 SGB VIII haben die Verfahrenslotsen somit folgende Aufgaben:

 

§  Sie unterstützen und begleiten junge Menschen sowie deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte bei der Antragsstellung, Verfolgung und Wahrnehmung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII.

§  Sie lotsen die Zielgruppe durch das gesamte Verfahren von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII und dem SGB IX.

§  Die Verfahrenslotsen sollen die Leistungsberechtigten bei der Verwirklichung von Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig unterstützen sowie auf die Inanspruchnahme von Rechten hinwirken.

§  Die Aufgaben beziehen sich auf das gesamte Verfahren von der Antragsstellung bis zur Beendigung.

§  Die Verfahrenslotsen können auch während der gewährten Hilfe die Antragssteller begleiten und weiterhin als Vertrauenspersonen fungieren.

§  Sie können bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres in Anspruch genommen werden.

§  Im gesamten Prozess haben die Verfahrenslotsen ausnahmslos eine beratende Funktion.

 

Zu den wesentlichen Aufgaben der Verfahrenslotsen nach § 10b Abs. 2 SGB VIII gehören:

 

§  Unterstützung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in dessen Zuständigkeit.

§  Halbjährliche Berichterstattung gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, insbesondere über Erfahrungen der strukturellen Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen sowie mit anderen Jugendhilfeträgern.

§  Zusammenarbeitsverpflichtung mit anderen öffentlichen Einrichtungen, dem Schulsystem, anderen Rehabilitationsträgern und sämtlichen Stellen der Eingliederungshilfe

 

Insbesondere im Zusammenhang mit der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe können folgende Tätigkeiten der Verfahrenslotsen erforderlich sein:

 

§  Anstreben von Kooperationsvereinbarungen mit allen unterschiedlichen Akteuren.

§  Beschreibung von Schnittstellen.

§  Beschreibung von Geschäftsprozessen innerhalb der Ablauforganisation

§  Informationsvermittlung an die Mitarbeitenden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.

§  Beratung von anderen Fachkräften zu strukturellen Fragen.

§  Entwurf eines Organisationsentwicklungskonzeptes.

§  Initiierung von Netzwerktreffen für die Eingliederungshilfe.

§  Einrichtung von regionalen Arbeitsgemeinschaften nach § 25 Abs. 2 SGB IX.

§  Enge Kooperation mit der Jugendhilfeplanung.

 

Für eine organisatorische Zuordnung der Verfahrenslotsen sind folgend Kriterien maßgeblich:

 

§  Die Verfahrenslotsen sind ein eigenständiges Beratungs- und Unterstützungsangebot der örtlichen Jugendhilfe mit Fokus auf alle Eingliederungsleistungen junger Menschen.

§  Die Federführung liegt laut Gesetzesbegründung in der örtlichen Jugendhilfe; eine Übertragung an Träger der freien Jugendhilfe scheidet daher aus.

§  Als Organisationseinheit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe fallen sie unter die Regelungen des § 79 SGB VIII und müssen sowohl sachlich ausreichend als auch personell bedarfsgerecht ausgestattet sein.

§  Es muss eine organisatorische Unabhängigkeit von Verwaltungsverfahren der Eingliederungshilfe bestehen.

§  Die Beratungsarbeit erfolgt weisungsungebunden.

§  Die Verfahrenslotsen haben im Gegenzug keine Weisungsbefugnis gegenüber den fallführenden Fachkräften der Eingliederungshilfe.

§  Verbindliche und strukturierte Kommunikationswege zu den Entscheidungsgremien und –ebenen des örtlichen Trägers der Jugendhilfe müssen sichergestellt sein.

§  Die Einrichtung einer gebietskörperschaftsübergreifenden Organisationseinheit mit mehreren örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ist möglich (69 Abs. 4 SGB VIII).

 

Ausgehend von der Möglichkeit einer gebietskörperschaftsübergreifenden Organisationseinheit haben die Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss einen Arbeitskreis gegründet, der sich mit einer gemeinschaftlichen Einführung der Verfahrenslotsen für das Kreisgebiet befasst. Konkret bedeutet dieses, dass nicht jedes Jugendamt im Rhein-Kreis Neuss eigene Verfahrenslotsen mit dem damit verbunden Organisations- und Kostenaufwand einstellt, sondern diese in einen gemeinsamen Dienst für alle Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss angesiedelt werden.

In einem gemeinsamen Dienst oder einer Fachstelle können die vielfältigen Aufgaben der Verfahrenslotsen hinsichtlich der Erfahrungen und Kompetenzen, des Berichtwesens, der Netzwerkarbeit, der Öffentlichkeitsarbeit, der Qualitätsentwicklung u. v. m. wesentlich effektiver, arbeitsteiliger und qualifizierter erbracht werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten ist diese Variante günstiger als Einzellösungen. In anderen Bereichen, z. B. der Adoptionsvermittlungsstelle, hat sich eine solche Kooperation der Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss bereits bewährt.

 

Die Eckpunkte einer gemeinsamen Umsetzung sind:

 

1.    Die Verfahrenslotsen im Rhein-Kreis Neuss werden zentral in einer gemeinsamen interkommunal agierenden Fachstelle angesiedelt.

2.    Die Fachstelle nimmt sowohl die Unterstützung und Begleitung der jungen Menschen und deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte war als auch die Unterstützung der Jugendämter bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen.

3.    Eine organisatorische Anbindung an die jeweiligen Jugendämter muss für eine Anpassung der Organisationsstrukturen und Verfahren in den Jugendämtern sichergestellt sein. Insbesondere eine Verzahnung mit der Jugendhilfeplanung ist für Entwicklung von entsprechenden Angeboten bedeutsam.

4.    Eingerichtet und organisatorisch angebunden werden kann die Fachstelle im Familienbüro des Jugendamtes des Rhein-Kreises Neuss. Dieses ist für alle Kommunen im Rhein-Kreis Neuss zuständig, verfügt über ein kreisweites Netzwerk, nimmt bereits eine Lotsenfunktion für Familien ein und wird über die Kreisumlage finanziert.

5.    Für die Arbeit der Fachstelle soll aufgrund des weit gesteckten Aufgabenfeldes und der verschiedenen Arbeitsschwerpunkte der Verfahrenslotsen ein Team aus mehreren Fachrichtungen gegründet werden.

6.    Die personelle Ausstattung der Fachstelle soll schrittweise erfolgen, da derzeit nicht abgeschätzt werden kann, wie hoch der tatsächliche Bedarf an Unterstützung und Beratung für die Leistungsberechtigten ist. In Abhängig von der Entwicklung muss die Möglichkeit einer zeitnahen personellen Anpassung bestehen.

7.    Für den Start der Fachstelle sollte daher die personelle Ausstattung zunächst drei VZÄ umfassen, bestehend aus zwei VZÄ für pädagogische Fachkräfte und eine VZÄ für Verwaltungskräfte.

8.    Die Aufteilung der Personal- und Sachkosten auf die Jugendämter erfolgt nach der Anzahl der Einwohner pro Kommune.

9.    Eine aus den Jugendämtern bestehende Steuergruppe nimmt konzeptionelle und koordinierende Aufgaben wahr, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Fachstelle stehen. Die Steuergruppe evaluiert auch die Arbeit der Fachstelle im Hinblick auf die personelle Ausstattung und macht entsprechende Vorschläge.

10.  Grundlage für die Einrichtung einer gemeinsamen Fachstelle für die Verfahrenslotsen ist eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung des mit den Jugendämtern im Rhein-Kreis Neuss und darauf aufbauend ggf. eine Geschäftsordnung für die Arbeit der Fachstelle.

 

Eine überschlägige Berechnung der anteiligen Kosten mit einer möglichen Eingruppierung nach S12/E9a oder S14/E9b und einer prozentualen Verteilung auf die Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss ergibt für das Jugendamt Meerbusch bei drei VZÄ jährliche Personalkosten in Höhe von ca. 35.000 €. Der hier erkennbare Unterschied in den Tarifgruppen S 12 zu S 14 erklärt sich durch die für die Berechnung der Durchschnittswerte berücksichtigte Personalstruktur. D.h. bei Entgeltgruppen mit Zuwächsen an Personal mit geringeren Erfahrungsstufen vermindert sich entsprechend der Durchschnitt.

 

 

 

 

 


Finanzielle Auswirkung:

 

Durch die Ausführung des vorgeschlagenen Beschlusses entstehen folgende Auswirkungen auf den Haushalt:

Die erforderlichen Aufwendungen in Höhe von jährlich 35.200,- € sind im Rahmen der Haushaltsberatungen 2024 entsprechend bereitzustellen.

 


Alternativen:

Der Jugendhilfeausschuss spricht sich gegen die Einrichtung einer interkommunalen Fachstelle im Familienbüro des Jugendamtes des Rhein-Kreises Neuss aus.