Betreff
Integrationsassistenz in Schulen - Poollösung in Meerbusch
Vorlage
FB2/1344/2021
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung, zunächst für die Martinusschule und die Adam-Riese-Grundschule, mit der Umsetzung einer Poollösung nach dem vorliegenden Konzept (Anlage).


Sachverhalt:

Mit der Einführung des SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe) im Jahr 2001 wurde das Jugendamt zu einem der sieben Rehabilitationsträger, neben z. B. der Gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit. Die Zuständigkeitsverteilung für Leistungen für Menschen mit Behinderung ist komplex und u. a. abhängig vom Alter der Leistungsberechtigten, der beantragten Leistung und der Art ihrer Behinderung. Daher folgt hier lediglich die Aufteilung der Zuständigkeit für Eingliederungshilfen in der Schule:

 

  • Jugendämter: Eingliederungshilfe bei seelischer Behinderung bei jungen Menschen zwischen Schuleintritt und (rund) dem 21. Lebensjahr nach § 35a SGB VIII
  • Sozialämter: Eingliederungshilfe bei seelischer Behinderung bei jungen Menschen mit körperlicher oder/und geistiger Behinderung nach § 53 SGB XII

 

Falls eine seelische Behinderung gemeinsam mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung auftritt (Mehrfachbehinderung), ist bisher meistens das kommunale Sozialamt zuständig. Um als junger Mensch nach § 35a SGB VIII einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe zu haben, müssen vereinfacht gesagt zwei Leistungsvoraussetzungen erfüllt sein: eine seelische Erkrankung und eine daraus resultierende (drohende) Teilhabebeeinträchtigung.

 

Genauso alt wie das SGB IX ist die sozial- und jugendpolitische Diskussion der Frage um die Trennung der Zuständigkeiten. Warum ist für das eine Kind das Jugendamt für das Andere das Sozialamt zuständig? Aus Sicht des hiesigen Jugendamtes sind behinderte Kinder und Jugendliche zunächst einmal Kinder und Jugendliche, die in ihren Bedürfnissen ganzheitlich unterstützt werden sollten und damit sollte die Zuständigkeit insgesamt bei den Jugendämtern liegen.

 

Diese Sicht hat sich über die Jahre zwischenzeitlich durchgesetzt und in der aktuellen SGB VIII-Reform wird dieser Übergang vorbereitet. Aufgrund der enormen (finanziellen) Umstrukturierungen auf Landes- und Stadt-/ Kreisebene soll dieser Prozess 2028 abgeschlossen sein.

 

Die Eingliederungshilfe umfasst folgende Leistungsgruppen:

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Vorrang der Deutschen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenkassen gegenüber der Jugendhilfe),
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Vorrang der Bundesagentur für Arbeit gegenüber der Jugendhilfe),
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung,
  • Leistungen zur sozialen Teilhabe.

 

Eine Eingliederungshilfe in der Schule gehört in aller Regel zur Leistungsgruppe „Teilhabe an Bildung“, bis 2020 auch „Hilfen zur angemessenen Schulbildung“ genannt. Meistens soll gleichzeitig die „soziale Teilhabe“ gefördert werden.

 

Als Schulbegleiter, Schulassistenten, Integrationshelfer, Inklusionsassistenten, Individualbegleiter sind sie mittlerweile fester Bestandteil im Alltag vieler Schulen. Denn durch ihren Einsatz ist der Schulbesuch für viele Kinder und Jugendliche mit geistigen, körperlichen oder seelischen Einschränkungen überhaupt erst möglich.

 

Die mit Abstand häufigste Maßnahme zur Teilhabe an Bildung ist die Begleitung durch eine Schulassistenz (1:1 Betreuung) in der Schule. Weiter gewähren Fachkräfte in Jugendämtern zum Beispiel eine Lern- oder Autismustherapie bei (drohender) seelischer Behinderung. Schulen selbst fördern Kinder entsprechend des LRS-Erlasses (RdErl. d. Kultusministeriums NRW, v. 19.7.1991) im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei Lese-Rechtschreibstörungen. Wenn diese ausgeschöpft sind, wird oft ein Antrag auf Eingliederungshilfe erforderlich, um die Bildungsteilhabe zu sichern.

 

Den größten Anteil an Eingliederungshilfen zu einer angemessenen Schulbildung bzw. Teilhabe an Bildung leisten die Jugendämter in Form einer Schulassistenz. In der Regel handelt es sich um eine 1:1 Betreuung für die betroffenen Kinder. Dabei handelt es sich nicht um einen Ausbildungsberuf und für die Qualifizierung dieser Kräfte zur Unterstützung der Kinder mit seelischer Behinderung existieren keine gesetzlichen Verpflichtungen.

 

Seit 2008 unterliegen die Eingliederungshilfen am „Durchführungsort Schule“ wie auch landes-/ bundesweit kontinuierlichen Steigerungsraten.

 

Entwicklung der Fallzahlen in Meerbusch nach Personen

2016

 

2017

2018

2019

2020

Ambulante Eingliederungshilfen gesamt

53

66

83

92

99

davon Integrationshilfen Schule

26

36

48

54

50

 

Sowohl in der Jugendhilfe als auch in der Schule kommen teilweise Zweifel auf, ob diese Form der Hilfe tatsächlich inkludierende Wirkung entfaltet oder ob die (tägliche) Begleitung durch einen Erwachsenen in 1:1 Betreuung nicht auch kontraproduktiv wirken kann. Zunehmend entwickeln Beteiligte aus beiden Systemen, manchmal auch in Kooperation mit den kommunalen Sozialämtern als Träger der Eingliederungshilfe für geistig bzw. körperlich behinderte junge Menschen, alternative Konzepte, wie Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen verbessert unterstützt werden können. Meist werden sie unter der Überschrift „Poolmodelle“ zusammengefasst. Dabei unterscheiden sich vor allem die „zusammengefassten Einzelfallhilfen“ - eine Schulassistenz betreut mehrere Schülerinnen und Schüler - und „infrastrukturelle Angebote“ - ein festes Stellenbudget fließt in ein inklusives Gesamtkonzept ein.

 

Auch bei der Installierung von infrastrukturellen Angeboten bleibt darüber hinaus der grundsätzliche Rechtsanspruch eines jungen Menschen mit seelischer Behinderung bestehen. Die Erfahrung aus entsprechenden Modellprojekten zeigt jedoch, dass zusätzliche Einzelfallhilfen dann selten nötig sind. Poollösung ist dabei ein wichtiger Schritt beim Aufbau inklusiver Strukturen in der Schule und beim Abbau bürokratischer Hürden für betroffene Familien.

 

An einer solchen Poollösung arbeitet das Jugendamt Meerbusch gemeinsam mit den Grundschulen seit geraumer Zeit. Die Planungen wurden allerdings durch die Pandemielage verzögert und sollen nun zum Abschluss gebracht werden. Als Schulen des gemeinsamen Lernens und mit einer vergleichbar hohen Falldichte wurden für den Projektstart die Martinusschule und die Adam-Riese-Schule ausgewählt. An beiden Schulen soll der Pool nunmehr für das kommende Schuljahr installiert werden.

 

In den Gesprächen mit den Schulen und zuletzt den vornehmlich an diesen Schulen tätigen Trägern, „Gemeinsam Leben und Erleben“ und dem „OBV“, wurde deutlich, dass das Meerbuscher Konzept (s. Anlage) insbesondere schlanke Verwaltungs- und Steuerungsstrukturen fördern und dazu flexibel zeitnah auf Bedarfe reagieren können sollte. Der weit überwiegende Teil der Integrationshilfen an den Regelschulen wird über das hiesige Jugendamt eingeleitet, der Anteil der Fälle über das Sozialamt ist deutlich geringer, kann und soll aber im Pool ebenfalls berücksichtigt werden. Da spätestens 2028 – wie oben erwähnt – alle Kinder mit Behinderung und Eingliederungsbedarfen in die Zuständigkeit des Jugendamtes fallen, ist eine Poollösung unter Berücksichtigung der Bedarfe für die geistig und körperlich behinderten Kinder obligatorisch.

 

Nach den Poollösungen in Büderich und Osterath soll neben einem Modell für Lank-Latum auch mit der Gesamtschule in die Umsetzungsüberlegungen eingestiegen werden.

 

Letztlich wird das System „Schule“ in seinen nicht schulinternen Handlungsmöglichkeiten gestärkt und eine bedarfsgerechte Versorgung der betroffenen Kinder ohne große bürokratische Aufwände unterstützt, ohne dabei individuelle Rechtsansprüche außen vor zu lassen.

 

Die Bedarfsgerechtigkeit des Angebotes wird vom Jugendamt, gemeinsam und im Einvernehmen mit den Schulen, regelmäßig geprüft und ggf. kooperativ mit den Trägern erfüllt.

 

Dem Jugendhilfeausschuss und dem Schulausschuss wird über den Verlauf des Projektes berichtet.


Finanzielle Auswirkung:

 

Durch die Ausführung des vorgeschlagenen Beschlusses entstehen folgende Auswirkungen auf den Haushalt: Die Kosten für die Poollösungen werden aus den Haushaltsansätzen für die bisherigen Einzelfallhilfen finanziert und sind damit im lfd. Ansatz für 2021 enthalten.


Alternativen:

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