Betreff
Sachstand Umsetzung Bundesteilhabegesetz (BTHG)
Vorlage
FB2/0319/2019
Aktenzeichen
FB2/6
Art
Informationsvorlage

Das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) soll mit seinen umfangreichen Rechtsänderungen dazu beitragen, Menschen mit Behinderungen eine möglichst volle und wirksame Teilhabe in allen Bereichen für eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.

 

Hierzu sind nach der Verkündung des Gesetzes ab 01.01.2017 bzw. 01.04.2017 verschiedene Reformstufen in der Umsetzung zu durchlaufen. Aktuell befinden wir uns in Vorbereitung auf die dritte Reformstufe. Der Vorlauf auf den Stichtag 01.01.2020 hat bereits begonnen und bindet jetzt schon Personalressourcen. In Rahmen dieses Vorlaufes wurde auch schon das „Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes“ am 03.08.2018 im Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen veröffentlicht.

 

Als Träger der Eingliederungshilfe werden die Landschaftsverbände (Landschaftsverband Rheinland - LVR und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe - LWL) bestimmt. Lediglich die Fachleistungen an Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die in der Herkunftsfamilie leben, verbleiben bis zum Abschluss einer ersten allgemeinen Schulausbildung bei den Kreisen und kreisfreien Städten (z. B. Leistungen für Schulbegleiter/Integrationshelfer, Behindertenfahrdienste und Hilfsmittel). Zugleich sollen die Landschaftsverbände, die Kreise und kreisfreien Städte entweder als Träger der Eingliederungshilfe oder ergänzend als Träger der Sozialhilfe immer dann auch Leistungen der Hilfe zur Pflege - unabhängig vom Alter und von der Wohnform - erbringen, wenn Menschen mit Behinderung zugleich Eingliederungshilfe erhalten. Darüber hinaus erhalten die Träger der Eingliederungshilfe die Möglichkeit, Kreise, kreisfreie Städte und kreisangehörige Gemeinden zur Durchführung von Aufgaben heranzuziehen. Nach dem aktuellen Stand sind die in der beigefügten tabellarischen Übersicht dargestellten Zuständigkeiten zu erwarten.

 

Praktisch heißt dies, dass zum 01.01.2020 die im Bundesteilhabegesetz (BTHG) enthaltene Trennung von Fachleistungen und Hilfen zum Lebensunterhalt in Kraft tritt. Zeitleich tritt die sogenannte „besondere Wohnform nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 SGB XII“ an die Stelle der stationären Einrichtung. Die „besondere Wohnform nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB XII“ meint Wohnraum, in dem jemand allein oder zu zweit in einem persönlichen Wohnraum lebt und ihm dort zusätzliche Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung zu Wohnzwecken überlassen worden sind. In Meerbusch wäre das „Haus Miteinander“ auf der Holbeinstraße ein Beispiel für so eine Wohnform.

 

Der Rhein-Kreis Neuss bzw. die Stadt Meerbusch müssen rechtzeitig vor dem 01.01.2020 in der Lage sein, auch für diejenigen Leistungsberechtigten, deren Lebensunterhalt bislang in stationären Einrichtungen durch den LVR gedeckt wurde, Geldleistungen der Grundsicherung zu bewilligen und an die Betroffenen auszuzahlen. Insofern können zur Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für Leistungsberechtigte, die künftig in der „besonderen Wohnform nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB XII“ leben, Anpassungen erforderlich werden.

 

Aus der Sondersitzung der Bundesaufsichtskonferenz am 02.04.2019 wurde die Absicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) deutlich, die Zuständigkeit für die Grundsicherung bei den heutigen Leistungen des stationären Wohnens auch künftig nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort auszurichten. Das heißt, dass es entscheidend für die Zuständigkeit ist, wo der Betroffene vor Aufnahme in die „besondere Wohnform nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB XII“ gelebt hat. Für die Stadt Meerbusch ist nach bisheriger Feststellung davon auszugehen, dass ca. 70 Fälle vom LVR übertragen werden. Diese Zahl ist aber noch nicht endgültig und kann sich noch um einige Fälle erhöhen, die seitens des LVR noch nicht kommunenscharf zugeordnet werden konnten.

 

Der Rhein-Kreis Neuss beabsichtigt, die Gewährung existenzsichernder Leistungen für den betroffenen Personenkreis auf die kreisangehörigen Städte und Gemeinden weiter zu delegieren, das heißt, dass die Grundsicherung und/oder Hilfe zum Lebensunterhalt zukünftig für die Menschen in Meerbusch beantragt werden muss, die vor der Aufnahme in die „besondere Wohnform“ hier gelebt haben. Somit sind die potentiellen Antragsteller über ganz Deutschland verteilt.

 

Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden weiterhin beim Rhein-Kreis Neuss in Grevenbroich bearbeitet. „Betroffene“ sind hier alle erwachsenen Personen ab 18 Jahre, die in einer „besonderen Wohnform nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB XII“ leben und nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, sowie Kinder, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des LVR fallen.

 

Das BTHG soll Menschen mit Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern. Die neue Personenzentrierung im BTHG soll dafür sorgen, dass nicht mehr über die Köpfe der Betroffenen hinweg, sondern im Gegenteil mit ihnen zusammen darüber beraten wird, welche Unterstützung sie für ihre individuelle Lebensplanung benötigen. Menschen mit Behinderung sollen von Anfang an über ihre Möglichkeiten beraten werden und in den gesamten Prozess der Leistungsfeststellung, Leistungsplanung und Leistungsumsetzung eingebunden sein.

 

Die Träger der Eingliederungshilfe müssen seit dem 01.01.2018 laut BTHG ein Gesamtplanverfahren durchführen, in dessen Rahmen die notwendigen, unterstützenden Leistungen einerseits ermittelt und andererseits auch geplant, gesteuert und dokumentiert werden sollen. Eine regelmäßige Wirkungsüberprüfung ist ebenfalls Teil des Verfahrens. Mithilfe des Gesamtplanverfahrens soll sichergestellt werden, dass der Mensch im Mittelpunkt steht: Der Leistungsberechtigte darf und soll seine Vorstellungen äußern und ist aktiv an der Leistungsplanung beteiligt.

 

Gleichzeitig heißt das für die Bearbeitung hier vor Ort, dass ab sofort schon etliche Vorbereitungen für einen reibungslosen Übergang getroffen werden müssen. Neben der Schaffung der technischen und räumlichen Voraussetzungen kommt für die Sachbearbeitung vor Ort die Organisation der Antragstellung des betroffenen Klientels als neue Aufgabe hinzu, damit eine nahtlose Leistungser-bringung ab dem 01.01.2020 erfolgen kann. Hierzu ist eine rechtzeitige Antragstellung erforderlich. Sofern beim LVR Anträge oder Antragsunterlagen für Grundsicherungsleistungen ab dem 01.01.2020 eingehen, muss er diese nahtlos an die Stadt Meerbusch weiterleiten.

 

Sobald das Vorliegen eines Anspruchs auf Sozialleistungen aufgeklärt ist, soll möglichst zeitnah ein Bescheid erlassen werden. Für Leistungen die ab Januar 2020 gelten, soll der Leistungsbescheid in Meerbusch möglichst schon in 2019 an die Betroffenen ergehen. Dies ist nicht nur zulässig, sondern auch für eine frühzeitige Kenntnis und Beteiligung der Betroffenen zum künftigen Leistungsanspruch sinnvoll. Auf diesem Wege ließen sich Nachfragen und gegebenenfalls erforderliche Korrekturen des Bewilligungsbescheides noch vor dessen Vollzug in 2020 erledigen. Ziel ist eine frühzeitige beiderseitige Rechts- und Planungssicherheit, auch für die Einrichtungen, in denen die Betroffenen jetzt schon untergebracht sind und die zur eigenen Finanzierung dringend darauf angewiesen sind, dass die Zahlungen reibungslos weiterlaufen.

 

Zur Konsequenz bei den Kosten im Rahmen der delegierten Sozialhilfe und damit im Rahmen der Kreisumlage können noch keine validen Aussagen getroffen werden.

 

Nach den Zahlen des LVR sind aus dem Rhein-Kreis Neuss rund 960 Grundsicherungsbezieher stationär untergebracht. Unter der Annahme eines laut LVR durchschnittlichen Grundsicherungsbedarfs von 580,- € mtl., kann der vom Bund zu refinanzierende Teil der existenzsichernden Leistungen hochgerechnet werden. Der LVR verfügt jedoch weder über kommunenscharfe Fallzahlen noch über die Höhe der Leistungserbringung nach Kapitel 3 SGB XII, sodass zurzeit nur gemutmaßt werden kann, welche Leistungen von welcher kreisangehörigen Kommune im Rahmen der Grundsicherung und im Rahmen des 3. Kapitels SGB XII zu erbringen sind.

 

In den Grundsicherungsfällen ist neben der Grundsicherung, die der Bund refinanziert, in jedem Fall nach § 27b Abs. 2 SGB XII ein Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von zurzeit 112,32 € mtl. zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird es weitere Fälle geben, die zwar keine Grundsicherung, aber Leistungen nach § 27b SGB XII beziehen werden. In der Arbeitsgruppe BTHG wurde am 12.07.2018 vereinbart, dass der LVR die Leistungsfälle ohne Grundsicherung nach Einkommen auswertet, um eine Abschätzung der Leistungsansprüche vornehmen zu können.

 

Für die Stadt Meerbusch bedeutet dies unter Zugrundelegung der vorläufig ermittelten 70 Fälle alleine für den Barbetrag einen jährlichen Mehraufwand von 94.348,80 € (112,32 € Barbetrag x 70 Fälle x 12 Monate). Es werden aber mit Sicherheit noch höhere Kosten zu erwarten sein, was sich wiederum in der Kreisumlage niederschlagen wird. Zum jetzigen Zeitpunkt ist hier eine Prognose noch nicht mit belastbaren Zahlen möglich.

 


In Vertretung

 

gez.

 

Frank Maatz

Erster Beigeordneter