Betreff
Örtliche Pflegebedarfsplanung
Vorlage
FB2/0206/2017
Aktenzeichen
FB 2 / 6
Art
Informationsvorlage

In den letzten Jahren diskutiert die Gesellschaft das Thema der demografischen Entwicklung mehr und mehr. Zumeist werden dabei insbesondere die Überalterung und ihre Folgen in den Blick genommen. Tatsächlich besagen die bekannten Prognosen, dass im Jahr 2030 fast ein Drittel der Gesellschaft in NRW zu den Seniorinnen und Senioren zählen wird. Sie werden zu einer Gesellschaftsgruppe, deren Bedarfe Entwicklungen wesentlich bestimmen. Neben der Zunahme der älteren Bevölkerungsgruppe führt z.B. die Differenzierung ihrer Lebensformen zu besonderen Herausforderungen. Gerade der vielfache Wunsch nach selbständigem und selbstbestimmten Wohnen für ältere und pflegebedürftige Menschen muss in den Mittelpunkt des zukünftigen Wohnungsbaus und der Quartiersentwicklung rücken. Und dies wird auch Konsequenzen für die Struktur der Pflegelandschaft in Meerbusch haben.

 

Denn mit zunehmendem Alter steigt das Risiko der Pflegebedürftigkeit:

bei unter 60-Jährigen: 0,6 %

bei 60- bis 80-Jährigen: 3,9 %

bei über 80-Jährigen: 31,8 %

 

In NRW gab es Ende des Jahres 2015 ca. 640.000 pflegebedürftige Personen. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den nächsten Jahren weiterhin stetig ansteigen. Um den damit anstehenden Herausforderungen gewachsen zu sein, ist es erforderlich, seniorengerechte Wohn- und Quartierskonzepte für ältere und insbesondere hochaltrige, zunehmend allein lebende Menschen zu entwickeln.

 

Durch das Alten- und Pflegegesetz NRW (APG NRW) sind die Städte und Kreise verpflichtet, eine Örtliche Planung zu erstellen. Diese beinhaltet eine Bestandsaufnahme der Angebote, eine Überprüfung der Qualität und Quantität dieser Angebote und gegebenenfalls Maßnahmen zur Schaffung, Sicherung oder Weiterentwicklung von Angeboten.

 

Der Rhein-Kreis Neuss hat das ALP-Institut aus Hamburg mit dieser Pflegebedarfsplanung beauftragt. Der fertiggestellte Bericht geht im Jahr 2018 in die politische Beratung. Ziel ist es dabei, auch in Zukunft Unterstützungsangebote für ältere und pflegebedürfte Menschen im Rhein-Kreis Neuss vorzuhalten und diese an die sich wandelnden Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen. Die Maßnahmen werden dann in Form einer Fortschreibung des seit 1975 bestehenden "Silbernen Plans" zusammengefasst.

 

Am 12.10.2017 fand beim Rhein-Kreis Neuss die Veranstaltung „Fachkonferenz Örtliche Planung“ in Erfüllung des § 7 des Alten- und Pflegegesetztes (APG NRW) u.a. mit Beteiligung der Meerbuscher Verwaltung statt. Die vom Rhein-Kreis Neuss zu erstellende „Örtliche Planung“ erfasste den Status quo und plant den Bedarf an Pflegeangeboten für die Zukunft. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der Fachkonferenz vorgestellt und sollen nun bei der Erstellung einer Agenda zu Grunde gelegt werden. Diese Agenda soll ziel- und handlungsleitend für die zukünftige Pflegebedarfsplanung sein.

 

Die Konferenz bildete den Auftakt für eine breite, fachliche Diskussion der Ergebnisse und der Prognosen. In Arbeitsgruppen wurden Stichpunkte und erste Ideen gesammelt, um aus der Planung konkrete Maßnahmen für das Alter und bei Pflegebedürftigkeit zu entwickeln, die den Rhein-Kreis Neuss für seine Einwohner in diesem Bereich zukunftssicher machen sollen. Schon zu diesem Zeitpunkt werden auch die örtlichen Gegebenheiten in den Kommunen zugrunde gelegt.

 

Wie bereits ausgeführt, ist generell ein starker Anstieg der Zahl der hochaltrigen Personen und der Pflegebedürftigen zu verzeichnen. Im Vergleich mit NRW hat der Rhein-Kreis Neuss einen sehr hohen Anteil Pflegegeldempfänger. Dagegen wird professionelle ambulante Pflege im Rhein-Kreis Neuss in deutlich geringerem Umfang in Anspruch genommen als in Gesamt-NRW. Durch die oftmals damit auch verbundene sehr späte Aufnahme in eine stationäre Einrichtung ergeben sich kürzere Verweildauern bei einem deutlich erhöhtem Pflege- und Betreuungsaufwand. Somit verändern sich natürlich auch der Charakter und das Angebot dieser Einrichtungen.

 

Die Überkapazitäten in den Pflegeheimen des Rhein-Kreises Neuss konnten in den letzten zwei Jahren deutlich abgebaut werden (rd. 100 Plätze). Damit ist gleichzeitig auch die Zahl der voll ausgelasteten Heime gestiegen. Im gesamten Kreisgebiet liegt die Belegungssituation in den Heimen bei einer hohen Auslastungsquote von 98 %, wobei Meerbusch aktuell mit Grevenbroich die meisten freien Kapazitäten zu verzeichnen hat. Auffällig ist hier insbesondere, dass es bei den stationären Unterbringungen in Meerbusch eine sehr starke Verflechtung mit den angrenzenden Großstädten Düsseldorf und Krefeld gibt. Zwischen 50 und 60 % der in Heimen untergebrachten Personen stammen nicht aus Meerbusch. Die Quote für den gesamten Rhein-Kreis Neuss liegt dagegen nur bei 23 % ortsfremder Bewohner.

 

Bereits heute sind rund 70 % der Heimbewohner demenziell erkrankt. Aus diesem hohen Prozentsatz ergibt sich ebenfalls ein steigender Anteil demenziell Erkrankter bzw. Personen mit hohem Pflegebedarf in der Tagespflege. Grundsätzlich besteht eine steigende Nachfrage nach teilstationären Angeboten.

 

In der Tagespflege kann Meerbusch auf 1 bis 2 Plätze pro 100 Pflegebedürftiger zurückgreifen. Damit liegt Meerbusch im Mittel des Rhein-Kreises Neuss. Ein Ausbau scheint hier wünschenswert, da die Nachfrage weiterhin stetig steigt. Bei den Kurzzeitpflegeplätzen liegt Meerbusch ebenfalls mit 1,3 bis 1,7 Plätzen pro 100 Pflegebedürftiger im Mittel des Rhein-Kreises Neuss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kurzzeitpflege vermehrt nur in den Heimen stattfindet, die aktuell nicht komplett ausgelastet sind. In diesem Fall kommen Meerbusch die freien Kapazitäten in den Heimen zu Gute.

 

Anfang 2017 wurde seitens der Stadt Meerbusch ein „Runder Tisch ambulante Pflege“ ins Leben gerufen. Hier wurden die ortsansässigen Pflegedienste zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen. Des Weiteren erfolgte eine Abfrage zur ambulanten Pflegesituation in Meerbusch. Von den damals 8 Meerbuscher Pflegediensten beteiligten sich fünf an der Abfrage. Dabei stellte sich heraus, dass von den insgesamt 803 ambulant zu pflegenden Personen, 743 aus Meerbusch kommen. Bei 34 Personen davon ist der Pflegedienst der alleinige Ansprechpartner des zu Pflegenden, weil keine Angehörigen oder sonstige Helfer zur Verfügung stehen. 3 der 5 Pflegedienste mussten schon einmal Patienten abweisen, weil die Kapazitäten ausgelastet waren. Als besonders belastend in der alltäglichen Arbeit nannten alle Pflegedienste den akuten Personalmangel im Bereich der Pflegefachkräfte.

 

Die Personalsituation, sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Pflege, bleibt angespannt und wird sich voraussichtlich weiter verschärfen. Die Ausbildung und (Rück-)Gewinnung von Arbeitskräften wird zunehmend von zentraler Bedeutung werden. Die Gewinnung von Personal auch mit Migrationshintergrund sowie die Stärkung des Images des Pflegeberufes werden immer wichtiger, um die zu erwartenden Bedarfe abdecken zu können. In der Alten- und Krankenpflege sind nach einer aktuellen Abfrage im Bundestag deutschlandweit mehr als 25.000 Fachkraft-Stellen nicht besetzt. Zudem fehlen rund 10.000 Hilfskräfte. Demnach waren 2017 im Schnitt 14.785 offene Stellen für Spezialisten in der Pflege alter Menschen gemeldet, in der Krankenpflege waren es 10.814. In Nordrhein-Westfalen kommen auf 100 offene Stellen in der Altenpflege 34 arbeitslose Fachkräfte.

 

Wenn zukünftig weiterhin ein hoher oder sogar steigender Anteil der Pflegebedürftigen ambulant versorgt werden soll, sind außerdem Unterstützungsstrukturen massiv auszubauen. In der Tendenz wird das Wachstum vor allem in der ambulanten und teilstationären Pflege stattfinden, aber auch stationäre Einrichtungen werden natürlich weiterhin benötigt.

 

Begleitende Maßnahmen sind hierbei die informelle Pflege durch Nachbarn, Angehörige oder sonstige Helfer mit professionellen Strukturen zu hinterlegen, zum Beispiel in Form einer aufsuchenden Beratung. Dazu kommt die Stärkung der Strukturen im Quartier. Der Blick muss zukünftig noch intensiver auf die Bereiche Inklusion, Nachbarschaftshilfe und Entwicklung von Quartiersarbeit gelenkt werden. Des Weiteren sind die Qualifizierung von Ehrenamtlichen, der Ausbau von alternativen, senioren- und behindertengerechten Wohnangeboten, eine bessere Betreuung und Beratung von pflegenden Angehörigen sowie der Ausbau von Angeboten im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen von Bedeutung.

 

Im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus werden die in Meerbusch neugeschaffenen Wohneinheiten regelmäßig auch seniorengerecht geplant. Insbesondere mit der GWG Viersen und dem Bauverein Meerbusch wird verstärkt versucht, ältere Menschen dazu zu bewegen, in einen „zukunftssichereren“, altengerechten Wohnraum zu ziehen. Dies gelingt letztlich für den Einzelfall nur durch das vom Vermieter aufgebaute Vertrauen und ggf. mit städtischer Beratung.

 

Neben der generellen Bedarfsdeckung braucht es ebenso, auf die speziellen Bedürfnisse der Menschen zugeschnittenen Wohnformate, ohne gleich auf eine stationäre Einrichtung zurückgreifen zu müssen. Gerade Angebote, wie z.B. ambulante Wohngemeinschaften, können für Senioren eine interessante Alternative sein. Für Menschen mit demenziellen Erkrankungen stellt sich die Frage des künftigen Wohnens trotz sonstiger körperlicher Fitness. Dieser Seniorengruppe will sich ein Wohnprojekt der Caritas Krefeld in Osterath auf der Hochstraße annehmen und ein alternatives Wohnprojekt bauen.

 

Gemeinsam mit der Kath. Kirchengemeinde Hildegundis von Meer plant die Caritas unter Einbeziehung des Alten Pfarrhauses und unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes Wohnraum in Form von zwei ambulanten Wohngemeinschaften für Senioren mit demenzieller Erkrankung und ambulantem Pflegebedarf zu schaffen. Hierzu soll das neu anzubauende Gebäude mit dem Pfarrhaus zu einer barrierefreien Einheit verbunden werden. Nutzer wären ausschließlich Menschen mit Demenz, die einen Unterstützungsbedarf über 24 Stunden haben. Dieser 24 Stunden Betreuungsbedarf wird durch eine Präsenzkraft sichergestellt. Die Finanzierung dieser Kraft erfolgt unter anderem über den Wohngruppenzuschlag der Pflegekasse für eine ambulant betreute Wohngruppe.

 

Das neue Gebäude bietet zwei übereinander angeordneten ambulanten Wohngemeinschaften mit jeweils 10 Wohnplätzen Raum. Des Weiteren sollen drei oder vier separate Wohneinheiten im Dachgeschoss des Pfarrheimes für Angehörige von Bewohnern geschaffen werden, die ebenfalls dort einziehen könnten. Bei einem über den Betreuungsbedarf hinausgehend pflegerischen Bedarf sind die Bewohner frei in ihrer Gestaltung. Dieser kann von Angehörigen übernommen werden oder durch einen professionellen Pflegedienst beauftragt werden.

 

Die ambulant organisierten Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz stellen eine zukunftsorientierte und individuell auf die Bedürfnisse der Mieter ausgerichtete Form des Wohnens und der Begleitung im Alltag dar. Ältere Menschen möchten im vertrauten Wohnumfeld verbleiben. Diesem Wunsch der Betroffenen wird mit solchen Wohnformen Rechnung getragen.

 

Eine Heimvermeidung setzt jeweils auf lokale Kooperations- und Koordinationsroutinen als Voraussetzung, die ebenso auf wirksamen Strukturen beruhen, wie auf einer bedarfsgerechten Infrastruktur mit Angeboten des Gesundheits- und Sozialwesens. Eine Heimvermeidung ist immer auch Ergebnis regionaler und lokaler Kooperationsstrukturen, die in den nächsten Jahren flächendeckend auch für Meerbusch ausgebaut werden sollten.

 

Insgesamt besteht die Notwendigkeit, die Anstrengungen zur Implementierung von leistungsfähigen Strukturen für neue, alternative Wohnformen im Alter zu verstärken und konsequent umzusetzen. Diese sollten in regionale und lokale Planungsprozesse eingebettet sein, die tragfähige Kooperations- und Vernetzungsstrukturen fördern, eine bedarfsangemessene Infrastruktur zum Gegenstand haben, einen regional und lokal angemessenen und effizienten Wohnformen-Mix ermöglichen sowie die Effizienz einer übergreifenden Versorgung im Alter anstreben. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich Heimeintritte am ehesten auf das Maß des Erforderlichen und im Einzelfall Notwendigen und Gewünschten begrenzen. Hierfür bedarf es aber einer klaren Kompetenzzuweisung für regionale und kommunale Planungsprozesse und einer entsprechenden Kompetenz- und Ressourcenausstattung. Dieser Aufgabe wird sich der Rhein-Kreis Neuss und die Stadt Meerbusch in der nächsten Zeit verstärkt zuwenden müssen.

 

Dem trägt auch schon das „Integrierte Stadtentwicklungskonzept – ISEK – Meerbusch 2030“ Rechnung. Im Grundsatzbeschluss wird dort festgelegt, dass barrierefreier Wohnraum in kleinen Wohneinheiten zu schaffen und die Realisierung neuer Wohnformen, wie z.B. Senioren-WGs, zu unterstützen ist. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sind zur Deckung eines veränderten Wohnraumbedarfs weitere Formen des altengerechten Wohnraums gerade auch zentrumsnah zu schaffen. Barrierearmer und -freier Wohnraum fördert nicht nur die Selbstständigkeit älterer Menschen, sondern auch die von Menschen mit Behinderung – unabhängig von ihrem Alter. Barrierefreiheit unterstützt zudem den in der Pflege zu beobachtenden Trend „ambulant vor stationär“, der nicht nur den Betroffenen dient, sondern auch hilft, hohe stationäre Unterkunftskosten zu vermeiden.

 


In Vertretung

 

gez.

 

Frank Maatz

Erster Beigeordneter