Betreff
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - aktueller Sachstand
Vorlage
FB2/0184/2017
Art
Informationsvorlage

Da u.a. in der Sitzung vom 09.09.2015 bereits ausführlich über die Rechts- und Verfahrenslage berichtet wurde, informiert die Verwaltung an dieser Stelle über die aktuellen Themen und Entwicklungen der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) in Meerbusch.

 

Anfang 2017 lebten 47.990 (Statistiken des Bundesverwaltungsamts) unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland. Hinzu kommen noch weitere 15.458 junge Volljährige, die auch noch nach ihrem 18. Geburtstag in der Zuständigkeit der Jugendhilfe bleiben durften. Der überwiegende Anteil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kommt gegenwärtig aus den Ländern Afghanistan, Syrien, Irak, Eritrea und Somalia. Der Großteil von ihnen ist männlich und bei ihrer Ankunft zwischen 16 und 17 Jahre alt. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterscheiden sich durch viele Merkmale wie Bildung, Religion und Sprache. Zudem unterscheiden sich die Gründe, warum sie nach Deutschland gekommen sind. Häufige Ursachen für Flucht sind Kriege, Verfolgung, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit. Es gibt jedoch auch Minderjährige, die aufgrund von Kinderarbeit, Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten oder Zwangsverheiratung fliehen.

 

Insgesamt wurden bislang 54 UMF in Meerbusch vorläufig vom Jugendamt in Obhut genommen, davon reisten 9 Minderjährige ohne Einleitung von Anschlussmaßnahmen in Begleitung von Erwachsenen oder nicht sorgeberechtigten Verwandten oder Fluchtgemeinschaften in andere Kommunen weiter. 45 Minderjährige wurden in Einrichtungen der Jugendhilfe in Obhut genommen und konnten Dank der ausgezeichneten Kooperation der Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss mit den freien Trägern der stationären Einrichtungen, relativ schnell, in Folgemaßnahmen untergebracht werden. Zwischenzeitlich funktioniert das Fallmanagement weitgehend reibungslos und das Hilfesystem ist auf die Herausforderungen eingerichtet. Immer wieder wurde in der Presse berichtet, dass auch UMF aus der Obhut der Jugendhilfe verschwunden bzw. untergetaucht sind. Dies ist bisher in Meerbusch lediglich in einem Fall, aus der seinerzeitigen Notunterkunft am Mataré-Gymnasium, vorgekommen.

 

Zum 09.06.2017 erhielten 33 unbegleitete minderjährige oder junge volljährige Flüchtlinge Leistungen der Jugendhilfe. Die aktuelle Aufnahmequote (Soll) der Stadt Meerbusch liegt bei 39 UMF.

 

 

Inobhutnahme-

einrichtung

Stationäre Erziehungshilfe

Gastfamilien/

Pflegefamilien

Ambulante Betreuung

insgesamt

4

20

6

3

davon junge Volljährige

0

9

2

3

Vormünder nehmen eine zentrale Rolle im Betreuungsprozess von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Vormundschaft und die Bestellung eines Vormunds für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling durch das Familiengericht liegen bereits mit Einreise vor. Gleichzeitig verpflichtet das Gesetz das Jugendamt, nach Kenntnisnahme und Überprüfung der Minderjährigkeit im Rahmen eines Erstscreening, das Familiengericht anzurufen, um eine Vormundschaft einzurichten. Im Rahmen der regulären Inobhutnahme hat das Jugendamt dann die Bestellung eines rechtlichen Vertreters unverzüglich, d.h.in der Regel innerhalb von 3 Werktagen, zu beantragen. Neben der Prüfung, ob ggf. eine geeignete Einzelperson (z.B. ein Verwandter) in Frage kommt, steht im Rahmen einer bestehenden Vereinbarung über die Führung von Vormundschaften und Pflegschaften für Minderjährige der Betreuungsverein Niederrhein e.V. für die Übernahme einer Vormundschaft grundsätzlich zur Verfügung. In allen anderen Fällen bestellt das Familiengericht das Jugendamt zum Amtsvormund. Das Jugendamt überträgt die Erfüllung dieser Aufgabe dann einer für diese Aufgabe bestellten Fachkraft.

 

Die Pflichten eines Vormunds für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling sind im Rahmen der rechtlichen Vertretung die Personen- und Vermögenssorge, u.a. die Sicherung und Schaffung von Bleiberechtsperspektiven, Vertretung im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Unterstützung bei Familienzusammenführung und Familiennachzug, die Gesundheitsfürsorge, Sicherstellung von Schul- und Ausbildungszugang, Spracherwerb sowie die Beantragung aller erforderlicher (Jugendhilfe)- Leistungen.

 

Derzeit bestehenden noch 20 Vormundschaften für UMF. Beendet wurden bis zum 08.06.2017 insgesamt 23 Vormundschaften.

 

 

Die Begleitung der UMF setzt ein umfassendes Wissen, nicht nur im Jugendhilferecht, sondern u.a. auch im Ausländerecht, voraus.

Insbesondere durch die Spezialisierung von zwei Mitarbeitern innerhalb des Allgemeinen Sozialen Dienstes war es möglich, sich intensiv mit der Begleitung der UMF und neuen fachlichen Anforderungen auseinanderzusetzen. Aufgrund der sich ständig verändernden Lebenssituation (Unterkunft, Schule, Perspektivklärung, Vernetzung etc.) ist auch der bürokratische Aufwand für die einzelnen Mitarbeiter höher als in den meisten Hilfen zur Erziehung. Fachlich haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, sich in einem Arbeitskreis „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, bestehend aus den Jugendämtern der umliegenden Kommunen, auszutauschen und zu beraten. Darüber hinaus werden kontinuierlich entsprechende Fachtage/Fortbildungen besucht.

 

Die UMF kommen vorrangig nach Zuweisung durch das Landesjugendamt in die hiesige Zuständigkeit. Unmittelbare Inobhutnahmen in Meerbusch, also ohne dass ein anderes Jugendamt zuvor Kenntnis von dem Aufenthalt des UMF im Inland hatte, fanden vornehmlich mit dem Flüchtlingsstrom Ende 2015/Anfang 2016 statt. Im Einzelfall kommt es auch zu sogenannten freiwilligen Übernahmen von anderen Jugendämtern, z.B. wenn der UMF ohnehin in Meerbusch untergebracht ist. Bei einer freiwilligen Übernahme wurde bereits eine Jugendhilfemaßnahme eingerichtet. Zusätzliche Kosten entstehen hierdurch nicht, da die Kosten für die Jugendhilfemaßnahmen der UMF auch in diesen Fällen in der Regel vom Landesjugendamt erstattet werden.

 

Grundsätzlich veranlasst der ASD-Mitarbeiter vor Beginn einer Jugendhilfemaßnahme ein umfassendes Clearing, das sich aus Klärung des Entwicklungsstandes und Diagnostik des therapeutischen Hilfebedarfs zusammensetzt. Dieses Clearing ist insbesondere Garant für eine bedarfsgerechte, individuelle Anschlussmaßnahme. Hier wird die aktive Kooperation des jungen Menschen im Rahmen der Hilfe besonders in den Blick genommen.

 

Insgesamt entwickelt sich der weit überwiegende Teil der UMF sehr erfreulich und sie weisen durchschnittlich mehr Ressourcen auf als andere Jugendliche in der stationären Jugendhilfe.  

In aktuellen Hilfeplangesprächen konnte beispielsweise dokumentiert werden:

  • Sehr positive Entwicklung
  • Lernt schnell Deutsch
  • Aussicht auf Haupt- und sogar Realschulabschluss oder
  • Besuch eines Berufskollegs mit Aussicht auf Ausbildungsplatz

 

Sie haben aber dennoch auch einen hohen Unterstützungsbedarf, insbesondere da die meisten UMF aufgrund ihrer Fluchterfahrung traumatisiert sind und es insgesamt zu wenige Therapiemöglichkeiten und -plätze gibt. Des Weiteren gilt es, ihre durch die Fluchterfahrungen „unterbrochene“ Persönlichkeitsentwicklung in der pädagogischen und therapeutischen Arbeit aufzufangen.

 

Besonders die UMF in den vier Gastfamilien in Meerbusch zeigen durch die familienähnliche Unterstützung eine sehr positive Entwicklung. Die unbegleiteten Minderjährigen sind hier, statt in einer Einrichtung, in einer für sie passenden Pflegefamilie gem. § 33 SGB VIII untergebracht. Im Sinne der Hilfen zur Erziehung in Vollzeitpflege erhalten die Jugendlichen in den Gastfamilien eine intensive Einzelbetreuung, die ihnen hilft, eine familiäre Normalität zu erleben und sich schneller in Deutschland orientieren zu können.

 

Sowohl begleitete als auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden mit ihrem Aufenthaltsstatus in Deutschland schulpflichtig und haben das Recht auf einen Zugang zu Schule und Ausbildung.

Alle geflüchteten Jugendliche in Meerbusch, so auch die UMF, besuchen daher eine Schule. Dies ist ein wichtiger Baustein für die weitere gelingende Entwicklung der Jugendlichen, erweist sich jedoch auch für die Betroffenen und das Schulsystem nach wie vor als große Herausforderung.

 

Die UMF, die in ein Praktikum vermittelt werden konnten, erhielten dort sehr positive Rückmeldungen. In eine Ausbildung konnte bisher zwar noch keiner vermittelt werden, es stehen jedoch für zwei UMF Ausbildungsverträge in Aussicht. Als wichtige Voraussetzung für einen Ausbildungsplatz wird nach wie vor ein Schulabschluss gewertet, da dies die Chancen auf einen erfolgreichen Berufsschulbesuch erhöht. Die Integration auf dem Arbeitsmarkt, die dadurch erworbenen fachlichen und sprachlichen Kenntnisse sowie die Steigerung des Selbstwertgefühls dieser jungen Menschen tragen einen erheblichen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration jedes Einzelnen bei. Da ein Ausbildungsplatz, selbst nach einem abgelehnten Asylantrag, zu einer Aufenthaltsgenehmigung zumindest für den Zeitraum der Ausbildung führen kann, ist dies in allen Fällen ein angestrebtes Ziel.

 

Der Rotary Club Meerbusch-Büderich engagiert sich bereits seit 2 Jahren im Bereich der beruflichen Qualifizierung von Flüchtlingen. In Zusammenarbeit mit der Verwaltung bzw. den sozialpädagogischen Fachkräften fördern sie ausgewählte Asylbewerber mit einer hohen Bleibeperspektive, um sie in den Wirtschaftskreislauf zu integrieren. Den ausgewählten Kandidaten wird ein Mentor zur Seite gestellt, der einen individuellen Entwicklungsplan für den Flüchtling erstellt. Durch Finanzierung und Initiierung von Sprach- und Ausbildungskursen sollen die Flüchtlinge an eine Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle bei lokalen Wirtschaftsunternehmen herangeführt werden. Neben erwachsenen Flüchtlingen sollen hier zukünftig auch frühzeitig junge Menschen unterstützt werden.

 

 

Wird der UMA absehbar volljährig, wird rechtzeitig geprüft, ob Hilfen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII zu fortsetzender Unterstützung zu gewähren sind.

Insbesondere die Klärung des Aufenthaltsstatus ist für die jungen Volljährigen von großer Bedeutung, da hiervon die weitere Perspektivklärung abhängt. Die meisten UMF wiesen auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres einen weiteren Jugendhilfebedarf auf und erhielten Hilfe für junge Volljährige.

 

Sofern keine Hilfe für junge Volljährige gewährt wird, bestehen je nach Status, bei Bedürftigkeit die normalen Leistungsansprüche nach dem AsylbLG bzw. dem SGB II. Sofern der junge Mensch über keinen geeigneten Wohnraum verfügt, wäre die Stadt im Rahmen der allgemeinen Regelungen verpflichtet, den jungen Menschen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit mit geeignetem Wohnraum zu versorgen.

 

Drohte den jungen volljährigen Flüchtlingen eine Abschiebung, gingen diese bisher alle in ein Widerspruchsverfahren. Dies betrifft derzeit insbesondere die Flüchtlinge aus Afghanistan, das trotz der Unruhen als sicheres Herkunftsland gilt. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen humanitäre Gründe gegeben waren, erhielten sie alle einen Ablehnungsbescheid und befinden sich derzeit im Widerspruchsverfahren/Klageverfahren. Eine Abschiebung ist bisher nicht erfolgt.

 

 

Wirtschaftliche Jugendhilfe (WJH)

Alle UMA-relevanten Kosten werden über die wirtschaftliche Jugendhilfe im Jugendamt abgerechnet. Dies betrifft neben den Aufwendungen für Unterbringung, Versorgung und Betreuung im Rahmen der Inobhutnahmen und der Anschlussmaßnahmen insbesondere auch die Krankenhilfe (keine Krankenversicherung) und notwendige Nebenkosten der Betreuung, so z.B. Fahrtkosten und in erheblichem Umfang auch Dolmetscherkosten. Dabei ist die enge Kooperation der Fachabteilungen ASD und WJH zwingend erforderlich und ein wesentlicher Bestandteil der Verfahrensabläufe zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung der UMF.

 

Das Land NRW erstattet die Kosten der Jugendhilfe für UMA, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Neben der Beachtung des ohnehin komplexen Verfahrensprozedere bei der Unterbringung von UMF, sind insbesondere die Fristwahrungen zu beachten. Die Abwicklung der Kostenerstattungsverfahren ist aufgrund erheblicher Dokumentations- und Nachweispflichten mit einem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden, der den üblichen Arbeitsaufwand zur Bearbeitung von Inobhutnahmen und Anschlussmaßnahmen im Rahmen der regulären Hilfeplanung deutlich übersteigt.

 

 

Nach den anfänglichen besonderen Herausforderungen weisen alle Beteiligten inzwischen die erforderliche Handlungssicherheit auf, was sich auch in der verbindlichen und zielführenden Kooperation mit anderen Institutionen oder Disziplinen widerspiegelt.

 


In Vertretung

 

gez.

 

Frank Maatz

Erster Beigeordneter