Betreff
Vereinbarung mit dem Betreuungsverein Niederrhein e.V. über die Führung von Vormundschaften/Pflegschaften für Minderjährige
Vorlage
FB2/0314/2015
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung, die im Entwurf beigefügte Vereinbarung mit dem Betreuungsverein Niederrhein e.V., Erzberger Str. 13, 41061 Mönchengladbach, über die Führung von Vormundschaften und Pflegschaften für Minderjährige, abzuschließen.


Sachverhalt:

Bereits in der Sitzung des JHA am 29.01.2013 wurde umfassend über die Auswirkungen der im Jahr 2011 begonnenen stufenweisen Reformierung des Vormundschaftsrechtes bezüglich der Aufgabeninhalte und der Personalausstattung im Jugendamt der Stadt Meerbusch berichtet. Die damaligen und über Jahre weitgehend stabilen Fallzahlen auf den hier vorhandenen Mischarbeitsplätzen Beistandschaft / Amtspflegschaft / Amtsvormundschaft ergaben bei 2 Vollzeitstellen zunächst keine Notwendigkeit einer Personalausweitung. Diese Situation änderte sich gravierend mit Beginn des Flüchtlingsstromes in 2015. Über die damit einhergehende Steigerung auch der Zahl der unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA) – also Minderjähriger, die ohne Personensorge- oder Erziehungsberechtigten eingereist sind - wurde bereits in der letzten Sitzung am 09.09.2015 ausführlich berichtet.

 

Nach Rechtslage des SGB VIII bis 31.10.2015 war das Jugendamt gehalten, unbegleitete minderjährige Ausländer, deren Aufenthalt in Meerbusch bekannt wurde, in Obhut zu nehmen und auch für eine rechtliche Vertretung zu sorgen. Bedingt durch die in Amtshilfe für das Land eingerichtete Erstaufnahmeeinrichtung in der Turnhalle des Mataré-Gymnasiums war ab Sommer 2015 eine stetige Steigerung der Zahlen festzustellen, nochmals verstärkt mit der im Oktober d.J. eingerichteten 2. Notunterkunft in der Turnhalle des Meerbusch-Gymnasiums. Weitere Unterkünfte sind nicht ausgeschlossen.

 

Auf Antrag des Jugendamtes, die Personensorge der nicht verfügbaren Eltern für ruhend zu erklären verbunden mit der Empfehlung, das örtliche Jugendamt zum Vormund zu bestimmen, bestellte das Familiengericht das Jugendamt Meerbusch bislang für 10 UMA zum Vormund. In einem Fall wurde ein erwachsener Verwandter zum Einzelvormund bestellt, in einem weiteren Fall das örtliche Jugendamt der Inobhutnahmestelle. Für aktuell vier weitere UMA stehen vormundschaftsgerichtliche Entscheidungen aus.

 

Der bestellte Vormund ist verpflichtet, sein Mündel vollumfänglich zu vertreten, somit auch in den ausländer- und asylrechtlichen Belangen.

 

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und  Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher am 01.11.2015 – eine Synopse zur Darstellung der gesetzlichen Änderungen ist beigefügt – ist mit einer erheblichen Zunahme von unbegleiteten Minderjährigen und damit auch der Vormundschaften zu rechnen. Zweck des Gesetzes ist u.a. die gerechtere Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen auf alle Jugendämter im Bundesgebiet, unabhängig vom Ort der ersten Feststellung. Bei Bekanntwerden der Einreise eines unbegleiteten Minderjährigen ist das örtliche Jugendamt zunächst zur vorläufigen Inobhutnahme (§ 42a SGB VIII) verpflichtet. In diesem Rahmen erfolgt die Erfassung der personenbezogenen Daten, vorläufige Unterbringung und Versorgung und ein sog. Erstscreening hinsichtlich Gesundheitszustand, möglicher Kindeswohlgefährdung bei einer Anmeldung zur Verteilung, möglicher Familienbezüge oder sonstiger sozialer Bindungen, z.B. durch Fluchtgemeinschaften. Sodann hat innerhalb von 7 Werktagen die Anmeldung des unbegleiteten Minderjährigen bei der Landesstelle - in NRW  beim LVR Rheinland angesiedelt - zur Verteilung zu erfolgen. Nach spätestens 4 Wochen wird durch die Landesstelle das örtlich zuständige Jugendamt bestimmt. Abgebendes und aufnehmendes Jugendamt müssen sich dann über die zu begleitende Übergabe des Minderjährigen verständigen und das abgebende Jugendamt hat den  UMA zum aufnehmenden Jugendamt zu begleiten.

 

Für die Dauer der vorläufigen Inobhutnahme verfügt das Jugendamt über die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Vertretung des Minderjährigen, damit unverzüglich ggf. erforderliche Rechtshandlungen vorgenommen werden können. Das nach Zuweisung durch die Landesstelle örtlich zuständige Jugendamt hat die eigentliche Inobhutnahme vorzunehmen bzw. Anschlussmaßnahmen einzuleiten sowie unverzüglich beim Familiengericht die rechtliche Vertretung durch eine Vormundbestellung zu beantragen.

 

Die Zuweisung der unbegleiteten Minderjährigen an die Länder erfolgt seitens des Bundesverwaltungsamtes auf Basis des sog. Königsteiner Schlüssels, der für NRW einen Anteil von 21,24052% bestimmt. Die Ausführungsbestimmungen des Landes zur Regelung der landesinternen Verteilung liegen noch nicht vor. In der Informationsvorlage zur Sitzung am 09.09.2015 wurde auf Basis von 750.000 erwarteten Flüchtlingen sowie des für Meerbusch in 2015 geltenden Zuweisungsschlüssels für asylbegehrende Ausländer von 0,2998097% eine Zahl von 24 unbegleiteten Minderjährigen prognostiziert. Mittlerweile gehen die Prognosen einerseits von ca. 1.000.000 Flüchtlingen aus und die Zahl der in diesem Strom mitreisenden Minderjährigen steigt ebenfalls. Die Flüchtlingszahlen werden stetig nach oben korrigiert, eine gesicherte Prognose kann nicht erstellt werden. Im Zusammenhang mit den Landesausführungen zum Gesetz wurde auch eine Quote von zunächst einem UMA auf 5.000 Einwohner in der Kommune genannt, dann 1:3.000 und zwischenzeitlich ist eine Quote von 1:1.500 im Gespräch. In keinem Fall führt eine dieser Quoten zu einer Deckelung der Zuweisungszahl, sondern wie bei den anderen Flüchtlingen zu einer stetigen Zuweisung entsprechend der Zugänge. Es muss daher mit der zeitnahen Zuweisung von mindestens 25 UMA und stetigem weiteren Zuwachs von UMA gerechnet werden. Die bis zum 31.10.2015 bereits in Meerbusch in Obhut genommenen bzw. in Anschlussmaßnahmen befindlichen Minderjährigen werden dabei auf die Zuweisungsquote angerechnet. Über die bestehenden Amtsvormundschaften hinaus sind entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um auch dieser Herausforderung begegnen zu können. Zudem ist die im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme in den ersten vier Wochen per Gesetz gegebene rechtliche umfangreiche Vertretung wahrzunehmen.

 

Der Gesetzgeber gibt bei den Vormundschaften / Pflegschaften für Minderjährige eine Höchstfallzahl je Vollzeitkraft von 50 Mündeln vor. Gleichzeitig ist es Aufgabe des Vormunds, sein Mündel in allen Bereichen der Personensorge zu vertreten, mindestens monatlich einen persönlichen Kontakt im Lebensumfeld des Mündels wahrzunehmen und persönlich seine Entwicklung zu fördern sowie die Pflege und Erziehung des Mündels zu gewährleisten. Die umfassende Wahrnehmung dieser Aufgaben ist bereits ohne die sich aus der Eigenschaft des UMA ergebenden meist komplexen Problemen und Fragestellungen kaum verantwortlich möglich. Der Landschaftsverband Rheinland empfiehlt daher in seiner Richtlinie für die Erlaubnis zur Übernahme von Vormundschaften und -pflegschaften vom 01.01.2014 eine Fallzahl von durchschnittlich maximal 30 Mündeln je Vollzeitkraft. Die Stadt Düsseldorf beschloss bereits 2012 die entsprechende Reduzierung der Fallzahlen auf 1:30 auch für eigengeführte Vormundschaften.

 

Zur Bewältigung der deutlichen Erhöhung der Fallzahlen sowie des zusätzlichen Aufgabenbereiches der rechtlichen Vertretung für die Dauer der vorläufigen Inobhutnahme mit der gebotenen Flexibilität hinsichtlich der im Einzelfall erforderlichen Arbeitsstunden sind zusätzliche Kapazitäten in der Verwaltung und bei externen Leistungserbringern dringend erforderlich. Die Verwaltung schlägt daher den Abschluss einer Vereinbarung mit dem Betreuungsverein Niederrhein e.V. mit Sitz in Mönchengladbach zur Übernahme von bis zu 25 Vormundschaften/Pflegschaften vor.

 

Der Betreuungsverein wurde 2012 von Mitarbeitern der Ev. Jugend- und Familienhilfe gGmbH gegründet, um eine qualifizierte und respektvolle Begleitung für junge und alte Menschen in belasteten Lebenssituationen sicher zu stellen. Der gemeinnützige Verein ist trotz der weiterhin bestehenden Nähe zur Ev. Jugend- und Familienhilfe gGmbH rechtlich selbständig und verfügt bereits seit Jahren auch über Erfahrungen in der rechtlichen Vertretung von unbegleiteten Minderjährigen und ein entsprechend ausgebautes und bewährtes Netzwerk.

 

Die Möglichkeit, dem Familiengericht die Bestellung eines Vereinsvormundes vorzuschlagen, eröffnet eine flexible Reaktion auf Fallzahlenveränderungen bei fachlich qualifizierter Aufgabenerfüllung.

 

Der Verein hat sich in Vorgesprächen zur Übernahme von bis zu 25 Vormundschaften/Pflegschaften auf Basis des beiliegenden Entwurfs der Vereinbarung bereit erklärt. Dieser Entwurf entspricht inhaltlich der bereits 2014 mit dem Jugendamt Kaarst geschlossenen Vereinbarung. Weitere Jugendämter sind an einer entsprechenden Kooperation interessiert.

 

Bei Abschluss der Vereinbarung kann dem Familiengericht durch den fallführenden Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes künftig auch eine Fachkraft des Betreuungsvereins benannt werden, die im Einzelfall zum Pfleger bzw. Vormund bestellt werden kann. Die Entscheidung über die Bestellung eines geeigneten Vormundes obliegt dann dem Familiengericht. In der Vergangenheit ist das zuständige Familiengericht der entsprechenden Empfehlungen in der Regel gefolgt. Bei Bestellung eines Vereinsvormundes erfolgt die Vergütung durch die Justizkasse nach dem Vormünder- und Betreuungsvergütungsgesetz mit derzeit 33,50 € je geleisteter Stunde.

 

Ergänzend bedarf es zur Deckung der für die Fachkraft anfallenden Personalkosten sowie der Vorhalte- und Gemeinkosten einer zusätzlichen Vergütung. Das Jugendamt Kaarst berechnete und vereinbarte bei Abschluss des Vertrages in 2014 auf der Grundlage der KGST-Materialie 04/2013 (Kosten eines Arbeitsplatzes S14) eine zusätzliche Vergütung von 23,43€ je geleisteter und notwendiger Stunde. Dieser Betrag wird jährlich um 1,5% zum Ausgleich allgemeiner Personal- und Sachkostensteigerung fortgeschrieben und beträgt somit seit 2015 23,78€/Std. und 2016 24,14€/Std. Diesen Sätzen liegt folgende Berechnung zugrunde:

 

Berechnung auf der Basis eines Vollzeitarbeitsplatzes bei 30 Mündeln

Jahresarbeitszeit in Stunden

1.570

fallbezogene Jahresarbeitszeit in Stunden - 82,00 %

1.287

Personalkosten S 14

57.300,00 €

Sachkostenpauschale

9.700,00 €

Gemeinkosten  22,5 % der PK

12.892,50 €

die KGST-Materiale sieht für Büroarbeitsplätze mindestens 20% Gemeinkostenanteil vor; aufgrund des erhöhten Aufwandes bei der Betreuung von UMA (Coaching, Supervision, Fortbildung) werden 22,5% berechnet

 

Gesamtkosten

79.892,50 €

Vergütung durch Justizkasse
             33,50€/Std.   x  1.287 Std

43.115,00 €

verbleibende Arbeitsplatzkosten

36.777,50 €

bei 1570 Jahresarbeitsstunden somit Aufstockungsbetrag je Stunde, Stand 2014

23,43 €

ab 01.01.2015    zuzüglich 1,5%

23,78 €

ab 01.01.2016    zuzüglich 1,5%

24,14 €

 

Diese Sätze wurden einvernehmlich auch für Meerbusch verhandelt und sind nachvollziehbar und angemessen. Dem Betreuungsverein ist im Übrigen an einer einheitlichen Abrechnung mit den Vertragsjugendämtern gelegen. Die Übernahme dieser Entgeltsätze im Rahmen des Vertragsabschlusses wird daher vorgeschlagen und ist im Vertragsentwurf entsprechend aufgenommen.

 

Die Abrechnung der geleisteten Stunden erfolgt auf Basis der Stundenabrechnung mit der Justizkasse.

 

Bei angenommenen 25 ganzjährig geführten Vormundschaften für die Stadt Meerbusch und der erwarteten Leistung der Justizkasse entstünden in 2016 somit Kosten in Höhe von ca. 25.000€.

 

fallbezogene Jahresarbeitsstunden

1.287

bei 30 Mündeln ergeben sich Jahresstunden / Fall

42,9

anteilige Jahresstunden für 25 Mündel

1.072,5

à 24,14€/Stunde

25.890 €

 

Ausdrücklich ist die vorgeschlagene Vereinbarung nicht begrenzt auf den Personenkreis der unbegleiteten minderjährigen Ausländer. Aufgrund der dargestellten erwarteten Zunahme insbesondere dieses Personenkreises ist jedoch zunächst die Übernahme dieser Minderjährigen durch den Betreuungsverein zu erwarten. Im Produkt 060 363 010 sind 2016 für die Unterbringung und Versorgung unbegleiteter minderjähriger Ausländer zunächst 1 Mio.€ eingestellt. Die erforderlichen Mittel für die Inanspruchnahme des Betreuungsvereins Niederrhein e.V. werden daher zunächst in diesem Rahmen zur Verfügung gestellt.

Mögliche Kostenerstattungsansprüche gegen den LVR, als grundsätzlich erstattungspflichtigen Träger bei Leistungen an Ausländer, sind zu prüfen.

 


Finanzielle Auswirkung:

Durch die Ausführung des vorgeschlagenen Beschlusses entstehen folgende Auswirkungen auf den Haushalt:   siehe Sachverhalt


Alternativen:

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