Betreff
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Kinder- und Jugendhilfe
Vorlage
FB2/0081/2015
Art
Informationsvorlage

Die Zahl der Flüchtlinge/Asylbewerber, die vor Bürgerkriegen, politischer und/oder religiöser Verfolgung und/oder geschlechterbezogener Diskriminierung aus ihrem Heimatland fliehen mussten bzw. aus wirtschaftlichen Gründen ihr Land verließen und in Deutschland Schutz und eine persönliche Perspektive suchen, hat erheblich zugenommen und wird weiter ansteigen. Auch in Meerbusch wurden insbesondere im letzten und im Laufe dieses Jahres sehr viele Flüchtlinge neu aufgenommen. Derzeit leben in Meerbusch 380 zugewiesene Flüchtlinge sowie 142 Flüchtlinge in der Notunterkunft am Mataré Gymnasium, die im Rahmen der Amtshilfe für die Erstaufnahme des Landes eingerichtet wurde.

 

Mit dieser großen Fluchtbewegung reisen auch zunehmend unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (abgekürzt: UMF) nach Deutschland ein. Lt. Erhebung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befanden sich zum Stichtag 31.12.2014 bereits ca. 18.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland in Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe.

 

Die Gründe für die Flucht sind dabei so individuell und vielfältig wie die jungen Menschen selbst (z.B. Kriege oder Konflikte im Heimatland, Rekrutierungen als Kindersoldaten, Armut, mangelnde Perspektive, Naturkatastrophen, Diskriminierung, Verfolgung, Menschenhandel). Die meisten UMF sind zwischen 16 und 17 Jahre alt. Ein großer Teil der Minderjährigen verlässt das Herkunftsland entweder ohne Eltern oder sie werden auf der Flucht von ihnen getrennt. Brechen die UMF ohne Eltern auf, geht man davon aus, dass diese nicht alleine reisen, sondern fast ausschließlich von sogenannten Schleusern in die Zielstaaten gebracht werden. Oft dauert die Flucht sehr lange und fordert gerade von den unbegleiteten Jugendlichen einen hohen psychischen und physischen Tribut.

 

Die in NRW lebenden UMF werden bisher im Schwerpunkt auf wenige Kommunen innerhalb Nordrhein Westfalens verteilt und in der Regel in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht. Dies hat mittlerweile zu unhaltbaren Belastungen der einzelnen Städte geführt. Die steigenden Zugangszahlen und die ungleiche Aufteilung auf die Kommunen haben daher ein tragfähiges und vor allem bundesweites Konzept zur Aufnahme und zur weiteren Versorgung von UMF in Deutschland erforderlich gemacht. Mit der voraussichtlich Anfang 2016 (01.01. oder 01.03.2016) in Kraft tretenden Ergänzung des § 42 SGB VIII „Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen durch das Jugendamt“, um die §§ 42a bis 42f SGB VIII, soll die Inobhutnahme und Umverteilung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern besser geregelt werden. Die hierfür notwendigen Ausführungsbestimmungen des Landes NRW werden derzeit erarbeitet. Eine vorgesehene Verteilung nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel  lässt erwarten, dass die UMF - mit ihren besonderen Anforderungen für die Jugendämter  - verstärkt in Obhut genommen und betreut werden müssen.

Derzeitige Rechts- und Verfahrenslage

Internationale Verpflichtungen und nationales Recht heben das spezielle Schutzbedürfnis von minderjährigen Flüchtlingen besonders hervor. Gemäß § 42 SGB VIII sind die örtlichen Träger der Jugendhilfe in Deutschland verpflichtet, ausländische Minderjährige, die unbegleitet in die Bundesrepublik einreisen, in Obhut zu nehmen, wenn sich weder die Personensorgeberechtigten noch die Erziehungsberechtigten im Inland aufhalten. Die Inobhutnahme erfolgt dort, wo die Einreise des UMF erstmals festgestellt wird. Dieser eigenständige Grund für eine Inobhutnahme ist seit dem
1. Oktober 2005 durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) gesetzlich verankert. Das örtliche Jugendamt ist allein wegen des Ausfalls der Sorgeberechtigten zur Inobhutnahme verpflichtet, ohne dass eine weitere Prüfung zur Kindeswohlgefährdung erforderlich ist. Die Neufassung stellt klar, dass die Bestimmungen des Jugendhilferechtes auch auf 16- und 17-Jährige unbegleitet eingereiste Minderjährige Anwendung finden. Diese Änderung des § 42 SGB VIII erfolgte unter anderem aufgrund der Kritik des UN-Kinderrechtsausschusses. Dieser hatte beanstandet, dass Minderjährige im Alter von 16 und 17 Jahren nach dem in der BRD geltenden Recht in ausländerrechtlichen Verfahren handlungsfähig sind und sie daher bei der Erstversorgung wie Erwachsene angesehen und teilweise zusammen mit Erwachsenen in Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende untergebracht werden. Diese Verfahrensweise wurde vor dem Hintergrund des in der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) verankerten Vorrangs des „Kindeswohls“ kritisiert. Gemäß Artikel 22 UN-KRK ist der angemessene Schutz der minderjährigen Flüchtlinge sicherzustellen. Alle Vertragsstaaten sind danach verpflichtet, bei Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes als vorrangigen Gesichtspunkt zu berücksichtigen.

 

Die Bundesregierung hat den ausländerrechtlichen Vorbehalt zur UN-KRK zum 15. Juli 2010 zurückgenommen. Aufgrund dessen besteht nach der Auffassung zahlreicher Organisationen die Notwendigkeit von gesetzlichen Veränderungen auf Bundes- und Landesebene, aber auch im Verwaltungshandeln der zuständigen Behörden sowie der Gestaltung der Lebensbedingungen von jungen Flüchtlingen.

 

Bereits im Aktionsplan für ein kindgerechtes Deutschland 2005 bis 2010 legte die Bundesregierung fest, sich dafür einzusetzen „dass für alle unbegleiteten schutzsuchenden Kinder ein so genanntes Clearingverfahren eingerichtet wird“. Die Koalitionsvereinbarung der heutigen Landesregierung NRW von Juli 2010 spricht sich sinngemäß für eine Unterbringung und Betreuung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Sinne des SGB VIII aus. Die Unterbringungsformen, in denen unbegleitete Minderjährige untergebracht werden sollen, sind in der EU-Aufnahmerichtlinie vorgegeben. Primär ist die Aufnahme bei erwachsenen Angehörigen vorgesehen, alternativ in einer Pflegefamilie. Stehen diese nicht zur Verfügung, ist eine Unterbringung in geeigneten Einrichtungen bzw. Unterkünften erforderlich. Die Unterbringung in allgemeinen Asylunterkünften ist derzeit für unter 16-Jährige nicht gestattet.

Die EU-Qualifikationsrichtlinie gibt dabei verbindliche Standards für den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vor:

·        Sie sollen Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Sozialhilfeleistungen, medizinischer Versorgung und Integrationsmaßnahmen erhalten.

·        Sie sollen durch einen gesetzlichen Vormund vertreten werden. Dabei sind die Bedürfnisse des Minderjährigen gebührend zu berücksichtigen.

·        Geschwister sollen möglichst zusammen bleiben, der Wechsel des Aufenthaltsortes ist auf ein Mindestmaß zu beschränken.

  • Familienangehörige sollen so bald wie möglich ausfindig gemacht werden.

Hilfestellung bei der Umsetzung dieser Standards im Rahmen des SGB VIII – unter Berücksichtigung der parallel zu beachtenden ausländerrechtlichen Regelungen insbesondere durch das Aufenthaltsgesetz, das Asylverfahrensgesetz sowie das Flüchtlingsaufnahmegesetz NRW - gibt der im März 2013 veröffentlichte Handlungsleitfaden des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport in Zusammenarbeit mit den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfallen-Lippe. Die folgende schematische Darstellung zeigt einen Ablauf für den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Erstkontakt bis zur Entscheidung über die Gewährung von Hilfen zur Erziehung bzw. das weitere ausländerrechtliche Vorgehen (Die Zahlenangaben verweisen auf das jeweilige Unterkapitel im ausformulierten Handlungsleitfaden).

Quelle: Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in NRW – mfkjks.nrw

 

Vor dem Hintergrund der ungleichen Verteilung der UMF legte der Bund am 15.07.2015 seinen Entwurf für das „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ vor. Unter Beachtung der UN-KRK und der weiteren internationalen Vorgaben und Richtlinien soll unter der Primärzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe ein am Kindeswohl ausgerichtetes bundesweites und landesinternes Verteilungsverfahren und damit auch eine gerechtere Kostenbelastung der Kommunen erreicht werden. Das Gesetz greift einige der in der Handreichung des MFKJS NRW bereits dargestellten und umgesetzten Aufgaben der Jugendämter auf und soll dann Anfang 2016 in Kraft treten.

 

Gesetzliche Änderungen

Im Wesentlichen sind folgende Klarstellungen und (Neu-)Regelungen durch Änderungen des SGB VIII sowie des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) und des Asylverfahrensgesetzes (AsylVvG) beabsichtigt:

 

§ 6 SGB VIII soll eindeutig klar stellen, dass ausländische Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Zugang zu Bildungsangeboten in Kindertageseinrichtungen und zu Unterstützungsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe haben, wenn sie ihren tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung in Deutschland haben.

Daraus folgt im Umkehrschluss, dass volljährige Ausländer und damit auch die unbegleiteten Flüchtlinge mit Eintritt ihrer Volljährigkeit wie bisher grundsätzlich nur dann Leistungen nach dem SGB VIII beanspruchen können, wenn sie rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Der Aufenthalt ist dann rechtmäßig, wenn der junge Volljährige über

  • eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund seiner Anerkennung als Flüchtling (§ 7, § 25 AufenthG) oder
  • eine Aufenthaltsgestattung im laufenden Asylverfahren (§ 55 AsylVfG)

verfügt.

 

Wird sein Asylantrag abgelehnt, ist der junge Mensch grundsätzlich zur Ausreise verpflichtet. Solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist oder dringende humanitäre oder persönliche Gründe vorliegen, kann ihm für einen begrenzten Zeitraum eine Duldung erteilt werden (§ 60a AufenthG). Dringende persönliche Gründe können dabei insbesondere vorliegen, wenn der Ausländer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eine qualifizierte Berufsausbildung aufnimmt. An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass die Gewährung von stationären Jugendhilfeleistungen auch ausländerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. So kann der Bezug von Hilfe zur Erziehung oder Hilfe für junge Volljährige in einer Einrichtung nach SGB VIII bei Ausländern, die keinen Antrag auf Asyl gestellt haben, gemäß § 55 Abs. 1 Ziffer 7 AufenthG grundsätzlich einen Ausweisungsgrund darstellen. Die Prüfung der Ausweisung unterliegt jedoch dem Ermessen und damit auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Zugang zu Schutzmaßnahmen ist für minderjährige Ausländer weiterhin uneingeschränkt über den tatsächlichen Aufenthalt in Deutschland gewährleistet.

 

§ 42 a SGB VIII soll die vorläufige Inobhutnahme als Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe zur Schutzgewährung für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche nach ihrer Einreise und vor der Entscheidung über ihre Verteilung regeln. Diese erfolgt durch das Jugendamt des Ortes, wo die Einreise des unbegleiteten Minderjährigen erstmals festgestellt wird (s. § 88 a SGB VIII) und umfasst insbesondere folgende Aufgaben:

 

  • Bei Zweifeln eine qualifizierte Inaugenscheinnahme zur Feststellung der Minderjährigkeit.

Das Jugendamt ist – unabhängig von Einschätzungen anderer Behörden wie z.B. der Bundespolizei oder des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - bereits nach aktueller Rechtslage verpflichtet, in Zweifelsfällen durch persönlichen Eindruck und Befragung, eine Einschätzung des Alters vorzunehmen. Solange eine Volljährigkeit nicht eindeutig festgestellt werden kann, ist solange von der Minderjährigkeit auszugehen, bis möglicherweise im weiteren Clearingverfahren neue Gesichtspunkte erkennbar werden.

  • Die adäquate vorläufige Unterbringung und Versorgung des Minderjährigen.
  • Die öffentlich-rechtliche Kompetenz zur Vertretung des Minderjährigen, um unverzüglich erforderliche Rechtshandlungen vornehmen zu können.
  • Die Veranlassung der Vormundbestellung beim Familiengericht zur umfassenden Wahrnehmung der Personensorge.
  • Die Prüfung des Kindeswohls insbesondere im Hinblick auf die Verteilung des UMF durch das Bundesverwaltungsamt (Erstscreening):

-       Würde eine Verteilung das Kindeswohl gefährden, auch unter Berücksichtigung des Kindeswillens?

-       Lässt der Gesundheitszustand eine Verteilung innerhalb von 14 Werktagen zu (ärztliche Stellungnahme)?

-       Besteht die Möglichkeit einer Familienzusammenführung; gemeinsame Verteilung von Geschwistern?

-       Gibt es soziale Bindungen zu anderen UMF?

Auf der Grundlage der Einschätzung nach den vorgenannten Kriterien entscheidet das Jugendamt über die Anmeldung des Minderjährigen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung.

 

Ausschlussgründe sind:               -Kindeswohlgefährdung,

                                                               -ansteckende Krankheiten,

                                                               -Möglichkeit der Familienzusammenführung,

                                               -Ablauf von 1 Monat nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme.

 

Innerhalb von 7 Werktagen hat das Jugendamt der zuständigen Landesstelle die vorläufige Inobhutnahme und das Ergebnis des Erstscreening anzuzeigen. Die Landesstelle meldet dann innerhalb von 3 Werktagen den Minderjährigen zur Verteilung beim Bundesverwaltungsamt an bzw. meldet den Ausschluss der Verteilung.

 

§ 42 b SGB VIII verpflichtet das Bundesverwaltungsamt innerhalb von 2 Werktagen, das zur Aufnahme verpflichtete Land zu bestimmen. Die entsprechende Landesstelle weist den Minderjährigen dann innerhalb von 2 Werktagen einem für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge geeigneten Jugendamt zur Inobhutnahme zu. Das zur vorläufigen Inobhutnahme verpflichtete Jugendamt hat den Minderjährigen zu begleiten und dessen Übergabe einschließlich der erforderlichen personenbezogenen Daten an das für die weiteren Jugendhilfemaßnahmen zuständige Jugendamt sicher zu stellen. Maßgeblich für die Eignung des Jugendamtes ist insbesondere die Gewährleistung eines den spezifischen Schutzbedürfnissen und Bedarfen unbegleiteter ausländischer Minderjähriger entsprechenden Angebotes an Einrichtungen, Diensten, Sprachmittlern und Veranstaltungen sowie einer entsprechenden Qualifikation der mit der Erfüllung der jeweiligen Aufgabe betrauten Fachkräfte.

 

§ 42 c SGB VIII sieht für die Verteilung der UMF – bis zur einer anderslautenden Vereinbarung zwischen den Ländern - den sog. Königsteiner Schlüssel (auf Basis von Steuereinnahmen und Bevölkerungszahl der Länder) vor, sowie die Berücksichtigung der zu einem Stichtag in Jugendhilfemaßnahmen befindlichen UMF zwecks Belastungsausgleich.

 

§ 42 d SGB VIII sieht auf Länderebene eine dreimonatige Übergangsfrist bis zur vollumfänglichen Erfüllung der Aufnahmequote vor, damit in den Ländern, die bisher nur sehr wenige UMF aufgenommen haben, geeignete Unterbringungsmöglichkeiten aufgebaut bzw. geschaffen und notwendige Kompetenzen erweitert bzw. erworben werden können.

 

§ 88 a SGB VIII wird den örtlich zuständigen Jugendhilfeträger bestimmen. So soll künftig auch für die Übernahme der Amtsvormundschaft oder Amtspflegschaft das Jugendamt zuständig sein, das bereits für die vorläufige Inobhutnahme (§ 42a SGB VIII), die Inobhutnahme (§42 SGB VIII) und ggf. Anschlusshilfen zuständig ist. Nach derzeitiger Rechtslage können die Zuständigkeiten oftmals auseinanderfallen, da für Amtsvormundschaft/-pflegschaft das Jugendamt des tatsächlichen Aufenthaltes – z.B. der Ort der Schutzstelle – zuständig ist.

 

§ 89 d SGB VIII sieht unverändert die Kostenerstattungsverpflichtung des Landes bei Jugendhilfegewährung an einen UMF innerhalb eines Monats nach Einreise vor. Hinsichtlich der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des veränderten Verteilungsverfahrens bereits laufenden Maßnahmen sollen Übergangsfristen gelten.

 

§ 99 SGB VIII soll die Erhebungen zur amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik verbessern.

 

Über die Veränderungen im SGB VIII hinaus sind noch folgende Änderungen vorgeschlagen:

 

§ 80 AufenthG / § 12 AsylVfG sollen den Vorrang und umfänglichen Schutz des Kinder- und Jugendhilferechts auch bei ausländischen Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, betonen. Das Alter, ab dem in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren wirksame Verfahrenshandlungen vorgenommen werden können, soll daher von 16 Jahre auf 18 Jahre angehoben werden.

 

 

Eine Prognose der künftig auf Meerbusch entfallenden UMF kann nur versucht werden, da bislang keine verlässlichen Zahlen für 2014/2015 vorliegen und die Entwicklung der Flüchtlingszahlen aktuell in den Prognosen immer wieder nach oben korrigiert werden. Zudem gibt es erhebliche Abweichungen zwischen den gemeldeten Inobhutnahmen von UMF und der Zahl der für die UMF gestellten Asylanträge. Im Jahr 2013 wurden bundesweit bei insgesamt 127.023 Flüchtlingen 5.605 (NRW 1.083) UMF in Obhut genommen, aber nur 2.486 Asylanträge für die UMF registriert. Im Jahr 2014 wurden bei insgesamt 202.823 Flüchtlingen schon 10.321 (NRW 2.061) UMF in Obhut genommen und 4.399 Asylanträge für UMF gestellt.

 

Eine Hochrechnung auf dieser Basis würde aufgrund der aktuellen Prognose von 750.000 Flüchtlingen für 2015 bei einem Anteil von 5% 37.500 Inobhutnahmen und einem Anteil von 2% 15.000 Asylanträge für die UMF ergeben. Damit entfielen allein auf NRW nach dem Königsteiner Schlüssel 2015 21,24052% = rund 8.000 Inobhutnahmen. Unter Berücksichtigung des für Meerbusch für 2015 bestehenden Zuweisungsschlüssels von 0,2998097% der asylbegehrenden Ausländer würde sich für Meerbusch ein Zugang von ca. 24 unbegleiteten Minderjährigen in 2016 ergeben können.

 

Bisher wurde am 23.09.2014 der erste von zwischenzeitlich 2 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen in Obhut genommen. Ein Minderjähriger verbleibt zudem auf eigenen Wunsch bei seinem erwachsenen, zwischenzeitlich auch personensorgeberechtigten Bruder, lebt mit diesem in einer städtischen Asylunterkunft und erhält dort sozialpädagogische Unterstützung. Zwei, nach eigenen Feststellungen, Jugendliche wurden der Stadt ursprünglich als volljährige Flüchtlinge zugewiesen. Aufgrund der Beteuerungen der jungen Flüchtlinge und berechtigter Zweifel im Rahmen der Aufnahme wurde entgegen der ersten Einschätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge durch qualifizierte, auch ärztliche, Inaugenscheinnahme und Befragung die Minderjährigkeit der Flüchtlinge durch das Jugendamt festgestellt und entsprechende Schutzmaßnahmen in geeigneten Clearingeinrichtungen eingeleitet.

 

Die zeitaufwändige Erstversorgung der UMF einschließlich ggf. erforderlicher Alterseinschätzung sowie die Einleitung und Begleitung weiterer Maßnahmen obliegt dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD).

 

Neben der Vermittlung von Sicherheit und Schutz zur Verarbeitung teils traumatisierender Erfahrungen und des Verlusts von Heimat und Familie sind mit dem Clearingprozess folgende Aufgaben verbunden:

  • Medizinische Abklärung,
  • Klärung der persönlichen Lebensverhältnisse,
  • Schulische Ausrichtung ,
  • Begleitung bei der Klärung der ausländerrechtlichen Situation.

Um den Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es vielfältiger Fachkompetenzen sowohl im Jugendamt als auch bei den Clearingeinrichtungen und einer guten Vernetzung aller Fachstellen.

 

Vom zuständigen Familiengericht ist auf Antrag des Jugendamtes umgehend ein Vormund zu bestellen. Der Vormund kann anschließend für sein Mündel z.B. Anträge stellen (auf Jugendhilfe, auf Asyl etc.) und soll alle Aufgaben eines Personensorgeberechtigten wahrnehmen. Damit hat er die Unterstützung des Mündels in den Bereichen Betreuung, Bildung und soziale Integration im Alltag, aber insbesondere auch die Vertretung im komplexen Rechtsgebiet des asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahrens, zu gewährleisten.

 

Wie nahezu in allen Kommunen, die bislang weniger mit der Unterbringung von UMF befasst waren, fehlt es den mit der Führung von Vormundschaften betrauten Fachkräften bislang auch in Meerbusch an den erforderlichen Spezialkenntnissen zur umfassenden Wahrnehmung der Rechte der UMF. Bis zur höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Mai 2013 haben die Familiengerichte daher regelmäßig neben dem Amtsvormund einen Ergänzungspfleger für die ausländerrechtlichen Belange bestellt. Der BGH vertrat jedoch die Auffassung, dass die Besorgung der ausländer- und asylrechtlichen Angelegenheiten des Mündels als Teil der Personensorge zum Aufgabengebiet des bestellten Vormundes gehöre und lehnte daher die Bestellung eines Ergänzungspflegers ab. Der Vormund müsse vielmehr fehlende Sachkunde durch Inanspruchnahme fachspezifischer Hilfen ausgleichen.

 

In Verbindung mit den dargestellten Änderungen des SGB VIII ist von einem deutlichen Mehraufwand für die umfassende Betreuung und Versorgung der UMF mit umfangreichem Aus- und Fortbildungsbedarf auszugehen.

 

Der Gesetzgeber sieht bei den Vormundschaften/Pflegschaften für Minderjährige einen Mindestpersonalschlüssel von 1:50 vor. Die Stadt Düsseldorf hat den Schlüssel 1:30 eingeführt, um das gesetzliche Ziel, durch persönliche Beziehung und regelmäßigen – d.h. mindestens monatlichen – Besuchskontakt die Entwicklung des Mündels persönlich zu fördern und zu begleiten, qualitativ erfüllen zu können.

 

Für die ASD-Tätigkeit wird ein zusätzlicher, fallzahlenabhängiger Aufwand durch die Inobhutnahmen und erforderlichen Anschlussmaßnahmen mit den Hilfeplanverfahren entstehen.

 

Zudem wird bei der möglichen Zahl von unbegleiteten Minderjährigen insbesondere im Sachgebiet Wirtschaftliche Jugendhilfe ein erheblicher Mehraufwand zu leisten sein, da neben der regulären Kostenabwicklung auch die Kostenerstattung im Einzelfall mit dem Land erfolgen muss. Gerade letzteres ist erfahrungsgemäß aufwendig.

 

 

Fallkosten und Kostenerstattung

Die Inobhutnahme und ggf. nachfolgende Anschlussmaßnahmen sind mit erheblichen Kosten verbunden. Hier sieht das SGB VIII in § 89d die Erstattungspflicht des Landes gegenüber dem örtlich zuständigen Jugendhilfeträger vor, sofern der junge Mensch innerhalb eines Monats nach der Einreise Jugendhilfeleistungen erhält. Das jeweils erstattungspflichtige Land wird – nach aktueller Rechtslage - auf Antrag des Jugendhilfeträgers durch das Bundesverwaltungsamt auf Grundlage eines Belastungsausgleichs bestimmt. Für die in NRW untergebrachten UMF soll künftig voraussichtlich der LVR zuständig werden.

 

Wie auch bei sonstigen Kostenerstattungsansprüchen üblich, beschränkt sich dieser auf die fallspezifischen Sachkosten. Vorhaltekosten, Verwaltungs- und Personalkosten sind vom örtlichen Jugendhilfeträger (Jugendamt) aufzubringen. Über derzeit laufende Erstattungsanträge ist noch nicht entschieden.

 

Die Kosten in einer Clearingstelle betragen ca. 170,00 € pro Tag/Fall.

 

Bislang sind Fallkosten in folgender Höhe entstanden bzw. in 2015 zu erwarten:

 

2014

2015 (Stand 24.08.2015)

Zahl UMF

stationär

1

2

ambulant

-

1

2014

Prognose 2015 (Stand 24.08.2015)

Fallkosten €

stationär

17.518,10

90.000,00

ambulant

-

2.500,00

 

 

 


In Vertretung

 

gez.

 

Frank Maatz

Erster Beigeordneter